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Frankfurter Buchmesse:
Henryk M. Broder, "FAZ"-Nasen am Buffet, 1996 (20.10.2019)



"FAZ"-Nasen am Buffet

Kaum hat die Kandidatin der "Frankfurter Allgemeinen" den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen, geht das Blatt gleich einen Schritt weiter und zeigt, was es unter multikultureller Vielfalt versteht. Ein Mitarbeiter des Feuilletons hat sich auf der Buchmesse umgesehen, an Partys, Empfängen und Buffets teilgenommen und berichtet u.a. von einer Begegnung "mit drei Literatur-Agenten in New York". Er nennt keine Namen, doch beschreibt er seine Zufallsbekannten recht genau: "Alle drei hatten die gleiche Hakennase, geniale Nasen sozusagen", es waren "geübte Partygänger", die sich schon "vor der Eröffnung des Buffets in gute Ausgangsstellungen" brachten, um "tatsächlich die ersten am Buffet" zu sein.
Es kann sein, daß die Beobachtungsgabe des "FAZ"-Mitarbeiters dadurch angeregt wurde, daß er der letzte am Buffet war und sich mit ein paar angenagten Hühnerschenkeln begnügen mußte. So etwas schärft nicht nur die Sinne, es provoziert auch die Frage, warum die anderen schneller waren und mehr abbekamen. Wegen der Hakennasen natürlich! Die sind nicht nur größer und leistungsfähiger, das heißt, sie riechen die Delikatessen, noch bevor sie aufgetischt werden; sie werden vorwiegend von Menschen getragen, die für ein Verhalten bekannt sind, das man zu der Zeit als Nasenkunde völkisches Pflichtfach war, "jüdische Raffgier" nannte. Damals waren die Hakennasen auch immer als erste dabei, drängten sich überall vor, nicht nur am Buffet, auch in der Wirtschaft, der Medizin und den Medien. Bis sie eines Tages von der Volksgemeinschaft zur Ordnung gerufen und vom Platz gewiesen wurden.
Nun sind die Hakennasen wieder da, und sie reißen am Buffet die besten Stücke an sich. Während unser Mann vom "Faz"-Feuilleton seine physiologische und physiognomische Unterlegenheit erleben muß. Was für eine Nase mag er haben? Ein kurzes Stupsnäschen wie die Biene Maja, eine Knollennase wie das Loriot-Männchen oder eine Flachnase wie Willy, das Wildschwein? Kann er den Geruch frischer Pastrami von dem eines alten Sauerbratens unterscheiden? Hat er womöglich Polypen, die ihn nicht schlafen lassen? Wir werden es nie erfahren. Doch wenn wir bei der nächsten Buchmesse einem "FAZ"-Reporter begegnen, der mit einem Kübelwagen zum Buffet angerollt kommt, dann ist das unser Mann. Er wird sich nicht noch einmal von drei Hakennasen aus New York um seinen ererbten Platzvorteil bringen lassen.

aus:
Henryk M. Broder:
Volk und Wahn, 1996