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Fluchschrift
Nr.1 / Juni 1992 / Frankfurt/M.
- Gegen das organisierte Deutschtum. Für
den Wiederzusammenbruch -
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Inhalt:
Linksdeutsche Miserere Eine falsche Ansicht wird 100 Exzess Linksdeutsche Miserere Die deutsche linksradikale Szene tut
sich außerordentlich schwer mit der Bevölkerung dieses Landes.
Sie will und kann die Deutschen nicht so beurteilen, kritisieren oder bekämpfen,
wie es dem Bewußtsein und den Handlungen der Deutschen angemessen
wäre:
Diese oder eine ähnliche Beurteilung des deutschen Volkes erlaubt sich die linksradikale Szene nicht. Sie, die ansonsten vom gesamten Habitus her so macht, als hätte sie wenig mit diesem Volk gemeinsam, möchte es gegenüber diesen "Vorwürfen" in Schutz nehmen. Die Ansicht ist zu "undifferenziert", ist zu total. Alle sind damit gemeint. Aber: "Es sind doch nicht alle so ! Warum gestehen wir diesem Volk (oder Teilen davon) nicht zu, sich genauso politisch zu entwickeln wie wir selbst." Die größten Gesellschaftskritiker geben sich hier populistisch und lassen sich ihr eigenes Volk nicht vermiesen. Zwar kennen sie auch die Fakten; wissen und merken, daß der "Zustrom der Massen" nach linksradikal noch nicht einmal ausreicht die Verluste nach Liberal oder Rechts auszugleichen; sehen sie auch wie die kommunistischen (linksneudeutsch: emanzipatorischen) Bestrebungen mit Unterstützung der früheren Anhänger fertiggemacht werden, daß das deutsche Volk ihnen auf ihre Ziele und Kämpfe ein dickes Ei legt und sie gleich alle mit der "Aufarbeitung von DDR, Stasi usw." hinter Gitter haben will. "Ich möchte die Leute nicht aufgeben" sagt jemand in einer dieser Szene typischen omnipotenten Selbstüberschätzung über Leute, die ihn schon lange aufgegeben haben, seit er linksradikal ist und die ihn aufgeben, solange er es bleibt. "Kann sich alles noch ändern, wir müssen Perspektiven entwickeln und geben", lautet die Durchhalteparole. Sie wollen nicht wahrhaben, daß bei der erdrückenden Mehrheit eine Differenzierung irrelevant ist, ein radikales Promille überhaupt nicht ins Gewicht fällt. "Ich hatte nur mit einigen (...) zu tun, und ihnen gegenüber bildeten die vielen, die mir schon als alle erscheinen mußten, eine übergewaltige Majorität. ...Die vielzuvielen waren keine SS-Männer, sondern Arbeiter, Kartothekführer, Techniker, Tippfräuleins - und nur eine Minderheit unter ihnen trug das Parteiabzeichen. Sie waren, nehmt alles nur in allem, für mich das deutsche Volk." schreibt Jean Amery über den Nationalsozialismus. Der Druck der gewaltigen und gewalttätigen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland drückt den Linksradikalen aufs Gehirn und schlägt ihnen auf den Magen. Das geht uns genauso. Aber nicht die linksdeutsche Anpassung mit massenwirksamen, populistischen Programmen kann die Konsequenz sein. Im Gegenteil: Rücksichtslose Kritik an jeder Art und Weise, wie sich dieses Volk national und international aufführt. Und auch rücksichtslos gegenüber allen linksradikalen Versuchen, dieses Verhalten zu verharmlosen ("Rassisten gibt es überall !"), zu entschuldigen , zu rechtfertigen und womöglich noch zu organisieren (Skinhead-Konzert im Exzess). Durch diese Kritik wird es vielleicht möglich, so etwas wie linksradikalen Widerstand, der nicht abhängig von der politischen Konjunktur und nicht siegesdeutsch angestrichen ist, zu erhalten oder zu entwickeln. Um den Widerspruch zwischen erklärtem "emanzipatorischen" Ziel und der augenblicklichen Verfassung dieser Massen auszuhalten, bedarf es in der linksradikalen Szene nicht nur eines respektlosen Umgangs mit den Tatsachen, sondern auch einer traditionellen, aber trotzdem konfusen, linken Theorie: Wer mit diesem Volk noch "Großes"
vorhat und sich immer noch überlegt mit welchen pädagogischen
und sozialpsychologischen Methoden es therapiert werden kann, obwohl alle
Zeichen auf nationalistischen und rassistischen Sturm stehen, macht zu
ihm ein taktisches Verhältnis auf. Das Bewußtsein und
das Verhalten der deutschen Bevölkerung wird ein Kalkül
in der linksradikalen Strategie. Alles, was die Leute fühlen, denken
oder tun, kann nicht für das genommen werden, was es auch ist (z.B.
rassistisch), sondern ist "Ausdruck von etwas" (Anderem).
Was nicht begriffen wird (oder werden will) ist, daß der Rassismus eine Erklärung gesellschaftlicher Veränderung ist und nicht der fehlgeleitete Ausdruck der Sehnsucht nach dieser Veränderung. Diejenigen, die sich die Gesellschaft mit rassistischer Ideologie erklären und danach handeln, wollen, daß diese Gesellschaft bleibt wie sie ist. Nur ohne die Widersprüche, die die Konkurrenz der bürgerlichen Gesellschaft zwangsläufig hervorruft, z.B. Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot etc. Ihr Handeln befindet sich nicht gegen, sondern im gesellschaftlichen Konsens rassistischer Politik. Mehr noch: Die praktischen Rassisten, die die Flüchtlinge und MigrantInnen angreifen und töten, demonstrieren, wie sie sich die staatliche Politik gegenüber den Flüchtlingen vorstellen. Die Lynchjustiz ist die Forderung nach der Todesstrafe, der Pogrom die Forderung nach dem staatlichen Vernichtungsprogramm. Wenn (so diese linke Logik weiter) der im tiefsten Inneren "gute" Volkswille von "den Herrschenden in deren Interesse manipuliert" wird und werden kann, dann kann dieser Volkswille auch wieder hervorgebracht oder "links" gewendet werden. Anstelle radikaler theoretischer und praktischer Kritik tritt die Aufklärung über die "eigentlichen Zusammenhänge". So muß der Masse erklärt werden, daß ihr rassistischer Protest und Angriff auf Flüchtlinge und MigrantInnen in Wirklichkeit ein fehlgeleiteter Protest gegen die sozialen Verhältnisse in der BRD ist. Eine Verharmlosung und Entschuldigung, die in der deutschen Linke Tradition hat. Die heutige Linke "ähnelt hier dem marxistischen Antisemitismustheoretiker, der im Judenhaß einen annehmbaren Kern erkennen will. Für diesen Theoretiker steht das 'Juda verrecke' als unaufgeklärte Einkleidung für die an sich erstrebenswerte Beseitigung von Zins und Geld. Im Judenverfolger wird der Genosse erkannt, dem lediglich die marxistische Schulung fehle."(Heinsohn,1988)(Siehe auch Artikel: Eine falsche Ansicht wird 100) Diese Linke, die das deutsche Volk so umsorgt, Kritik an den Massen möglichst vermeidet und "Erziehung" und "Therapien" empfiehlt, ignoriert nicht nur den aktuellen Zustand dieses Volkes, sondern ignoriert auch dessen Taten in der Geschichte. Mehrheitlich waren die Deutschen in irgend einer Funktion (und wenn sie noch so banal erschien) an der Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus beteiligt. Und sie werden es wieder tun, wenn es auf höchster Ebene beschlossen wird, und es wieder ganz normal finden, wenn sie von Angriffen, Vertreibungen, Ermordungen mitbekommen (oder mitmachen). Den Linksradikalen ist es noch nicht einmal im Bewußtsein, daß sie dies zum Thema machen und damit reflektieren müßten. So ist es durchaus typisch, wenn ein
fast 30 jähriger Linksradikaler erklärt: "Mein Geschichtsbewußtsein
beginnt erst ab 1945". Und er meint es nicht selbstkritisch, sondern
möchte damit signalisieren, daß er auch nicht willens ist, große
Anstrengungen in der Versuch einzubringen, die Zeit vor 1945 auch nur ansatzweise
begreifen zu wollen. Warum dieser junge Mann mit seiner vorhergehenden
Generation ("Gnade der späten Geburt" (Kohl)) die gleiche Meinung
teilt, wird ihn dabei wohl kaum groß stören.
Was diese Menschen noch in ihrer offenen
Naivität äußern, bekommt bei anderen eine theoretische
Weihe. So kritisieren die Verfasser eines linksradikalen Papiers 1990 die
Gleichung: "Deutschland denken heißt Auschwitz denken!" folgendermaßen:
"Weil es Auschwitz gab, heißt,
an Deutschland denken gerade auch an Widerstand denken" schreiben sie weiter.
6 Millionen tote Juden sind nicht der Beweis eines Widerstandes, sondern
geschlossener Reihen: Fast jede/r Deutsche hat seinen großen oder
"bescheidenen" Beitrag zum Vernichtungsprozeß geleistet, ob in der
Fabrik, an der Uni, bei der Reichsbahn, im faschistischen Staatsapparat,
in der Armee usw., usf. Und sie hatten kein schlechtes Gefühl dabei,
sie fanden es vollkommen normal und in Ordnung. Der gesellschaftliche Vernichtungsprozeß
war total.
Im Herbst 1991 erreichen die rassistischen Anschläge ihren vorläufigen Höhepunkt und es ist nicht erkennbar, daß in dieser Gesellschaft irgend eine größere Kraft existiert, die der nationalen und rassistischen Offensive etwas entgegensetzen könne. Und trotzdem läßt sich die linksradikale Szene das Vertrauen in die eigene "Stärke" und die Hoffnung in eine erfolgreiche Zukunft in Deutschland nicht nehmen. Den Hinweis, wie er im Beitrag "Exzesse" auch enthalten ist, daß ohne die Zerstörung Deutschlands hier eine befreite Gesellschaft nicht möglich sei, wollen und können sie nicht ernst nehmen. Für sie ist diese Kritik ein überzogenes Gefühl von AusländerInnen, die sie "verstehen", aber nicht annehmen können. Sie haben das Gefühl, daß ihnen eine "Perspektive" genommen wird. Hoffnung auf eine bessere Bevölkerung und eine bessere Gesellschaft ist der Motor ihrer politischen Arbeit. Und wo radikale Gegnerschaft notwendig wäre, werden anbiedernd Gemeinsamkeiten unterstrichen. Die Übergänge und Brücken werden gezimmert. Wir aber sind nicht bereit uns theoretisch
und politisch auf den Standpunkt zu stellen, zu dem andere sich durch die
Übermacht der gegebenen Verhältnisse regelrecht gezwungen fühlen.
Das Sein verstimmt bzw. überstimmt das
Bewußtsein.
Eine falsche Ansicht wird 100 Auf die völkische Wiedervereinigung der Deutschen, die dem rassistischen Potential in Ost wie West so richtig zum Durchbruch verhalf, reagierte die radikale Linke nach altbewährten Mustern: die durch Glatzen erkennbaren Faschos schlagen und zugleich die Täter und die rassistische Bevölkerung zu Opfern von Wohnungsnot und Verelendung zu erklären. Damit wird Rassismus in Deutschland 1992 entpolitisiert. Dies ist auch der Hintergrund für
die Auseinandersetzung um ein Konzert in einem linksradikalen Zentrum in
Frankfurt, zu dem Skinhead-Fans erwartet wurden - und auch zahlreich erschienen.
Diese Ansicht hat in der deutschen
Linken Tradition: Die Erklärungsmuster der radikalen Linken gleichen
auf verblüffende Weise denen der Sozialdemokratie vor 100 Jahren für
den politischen Antisemitismus. Deren Klassen-Analyse war zugleich die
Ignoranz gegenüber der bedrohten Minderheit. Es fehlte eine Einschätzung
von dem Potential der Vernichtung des völkisch-rassistischen Judenhasses
in der deutschen Bevölkerung und an Initiative gegen den Nationalismus.
Es geht hier nicht um den historischen Vergleich oder um die Erklärung
des politischen Antisemitismus oder gar um den falschen Vergleich mit dem
Rassismus. Es geht um das Selbstverständnis der Linken, die geschichtslos,
an der Tradition der Analyse und Ignoranz anknüpft, ohne sich je mit
dieser auseinandergesetzt zu haben.
Sozialdemokratie 1893: "Der Antisemitismus entspringt der Mißstimmung gewisser bürgerlicher Kreise, die sich durch die kapitalistische Entwicklung bedrückt finden und zum Theil durch diese Entwicklung dem wirtschaftlichen Untergang geweiht sind, aber in Verkennung der eigentlichen Ursache ihrer Lage den Kampf nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem ... richten." Den Sozialdemokraten galt der Antisemitismus, so abstoßend er auch auftrat, als Ausdruck eines antikapitalistischen Protestes. Auf der Grundlage des "objektiven Ganges der Geschichte" würde diesem "irrationalen Protest", vermittels aufklärerischer Politik der Sozialdemokratie, die rationale Erkenntnis in die eigentlichen Ursachen der Verelendung folgen - der Kampf gegen den Kapitalismus. Sie waren überzeugt, daß der Sozialismus die einzige Lösung der "Judenfrage", und damit des Antisemitismus, sei. Auch deshalb verteidigten sie nicht die Juden als Juden, sondern lehnten nur den politischen Antisemitismus aus Prinzip ab. (vgl. Massing, S.105 u. 107) Nach ihrer Klassenanalyse war der Antisemitismus als Massenerscheinung fast ausschließlich eine Ideologie des untergehenden Mittelstandes, der sich über kurz oder lang mit der revolutionären Arbeiterklasse verbünden würde. "Völlig verfangen in dem Dogma, es gäbe keine andere Wahl als die zwischen Kapitalismus und Sozialismus, hielten sie jedoch die antikapitalistische Seite des völkischen Antisemitismus für revolutionär in dem einzigen Sinne, dem der Sozialismus dem Begriff zu geben pflegte. Was die Welt später als Faschismus kennenlernte, war der sozialistischen Welt noch unbekannt" - noch hatte sie die Geschichte nicht widerlegt. (Massing, S. 109) Die Linke heute denkt - ob sie die sozialdemokratische Theorie und Politik kennt oder nicht - in dieser Tradition: Rassismus, Überfälle auf MigrantInnen sind ein Reflex der sozialen Lage der Täter, auf Wohnungsnot, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit. Die Faschisten schlagen auf von den Herrschenden angebotene Sündenböcke ein, anstatt sich ihrer "sozialen Rebellion" bewußt zu werden. Nach dem Motto: "Rebellion ist gerechtfertigt. Aber so geht es nicht!" (Überschrift eines Aufrufes für eine Demonstration nach Mannheim/Schönau) Es ist eine Tradition, die die Geschichte
dieses Landes ignoriert. Die Taten der deutschen national-völkischen
Revolution ab 1933, die Vernichtung der europäischen Juden, wird nicht
in die Herzen und Analyse aufgenommen.
Demgemäß spricht man lieber
vom Faschismus als vom Nazismus. Und der falsche Faschismusbegriff hat
sich seit Dimitroff (1935) nicht wesentlich geändert: "Der Faschismus
fängt im Interesse der reaktionärsten Kreise der Bourgeoisie
die enttäuschten Massen ein, die sich von den alten bürgerlichen
Parteien abkehren. ...Der Faschismus ist ... die offene terroristische
Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen
Elemente des Finanzkapitals. ...Dem Faschismus gelingt es, die Massen zu
gewinnen, weil er in demagogischer Weise an ihre brennendsten Nöte
und Bedürfnisse appelliert." (Georgi Dimitroff, Arbeiterklasse gegen
den Faschismus, Mannheim 1975, S.9ff.)
Die Linke wiederholt diese Fehler,
wenn sie Form und Inhalt, rassistische Propaganda und Taten von unterstellten
"eigentlichen, realen Nöten" und Interessen trennt. "Ein Großteil
der Stiefelfaschisten ist unzufrieden mit ihrer Lebenssituation, beschissene
Wohnung, kein Geld, keine Arbeit, keine Perspektive. Wie immer wird ein
Sündenbock gesucht und gefunden, und auch von staatlicher Seite angeboten:
die AusländerInnen." (Antifa-Info)
Nur wenn man die Täter als "dumme
Jungs" sehen will, und die Behauptungen der Neonazis als partiell richtig
akzeptiert, kann man unterstellen, es ginge ihnen um die Verbesserung ihrer
sozialen Situation, daß ihr Reden und Handeln einen rationalen Kern
hätte, an dem durch Aufklärung anzusetzen wäre. Juden und
Ausländer sind nicht einfach nur Sündenböcke, die in Verkennung
der wahren Lage herhalten müssen, sie sind als Opfer für alles
und jedes bereits ausgemacht. Nicht um Beseitigung von sozialen Mißständen
geht es den Faschisten, sondern um Rache und Macht; ihr Wunsch ist es andere
leiden zu lassen.
Wer den Faschisten und ihrer Anhängerschaft vorrechnet: "Aber nimmt der Kurde Arbeit weg, der mit 5 jährigem Arbeitsverbot als Flüchtling belegt ist, nimmt die Iranerin eine Wohnung weg, die im Wohncontainer haust ...?" (Antifa/Info), läßt sich auf den herrschenden Konsens dieser Gesellschaft ein, nachdem es keine Selbstverständlichkeit ist, Menschen ein Lebensrecht in diesem Land zuzugestehen, einfach weil sie dort leben möchten. Der falschen Analyse folgt die Praxis,
Aufklärung und Alternativen anzubieten, die Gewinnung der potentiellen
Anhängerschaft der Faschisten für sich: "... Wir müssen
sie wieder für uns gewinnen, indem wir real etwas anbieten, was jetzt
greifbar sein muß, eine menschliche, solidarische Zukunft. ... Antifaschismus
(darf) nicht stehenbleiben beim Kampf gegen die Faschisten, sondern muß
die Menschen aufklären, muß Alternativen anbieten zu den bestehenden
Verhältnissen." (Antifa-Info/ Frankfurt Nr.3, April 1992)
Die AntifaschistInnen mit ihren Erklärungsmustern nehmen die deutsche Sichtweise ein, und auch sie kochen ihr politisches Süppchen auf dem Rassismus. Die Täter werden zum Opfer der sozialen Verhältnisse erklärt, und dies als Ansatzpunkt für linksradikale Praxis gesehen. Die deutschen Parteien haben ihre Protestwähler, die Linken ihre Protestschläger. Dies ist nicht nur eine grobe Verharmlosung zerstörerischen Potentials in der deutschen Bevölkerung, sondern MigrantInnen kommen in dieser Auseinandersetzung nicht vor, nur als schutzwürdige Opfer der "Opfer" oder als alternative Therapeuten für deutsche Linke. "... Aber wir haben eine verdammt gute Chance, hier gegen den Nationalismus und Rassismus vorzugehen. Wir leben hier zusammen mit vielen kämpfenden Menschen aus anderen Ländern. Wir können Internationalismus praktisch machen (und z.B. den Metropolenchauvinismus, der uns allen in den Knochen steckt und eine Form von Nationalismus ist, ganz praktisch knacken). ..." (Autonome AntiimperialistInnen Frankfurt/M., Flugblatt: Nie wieder Deutschland!,1990) Was immer "Internationalismus praktisch machen" heißt, wenn AusländerInnen "Ausländer raus" und "verrecke" brüllen hören, dann haben sie nicht das Problem, ob der Täter vielleicht seine soziale und ökonomische Situation mißdeutet. Die Konfrontation ist eindeutig und klar. "Die Antisemiten haben zu bewältigen,
nicht ich. Ich würde ihnen in die unsauberen Hände spielen, wollte
ich untersuchen, welchen Anteil an den Judenverfolgungen religiöse,
ökonomische und andere Faktoren haben. Wenn ich mich einließe
auf derlei Untersuchungen, würde ich nur der intellektuellen Düperie
(Betrug, Täuschung) sogenannter geschichtlicher Objektivität
aufsitzen, vor der die Ermordeten so schuldig sind wie die Mörder,
wenn nicht gar schuldiger. Ein Wunde wurde mir geschlagen. Ich habe sie
zu desinfizieren und zu verbinden, nicht nachzudenken, warum der Schläger
die Keule hob, und im erschlossenen Darum ihn halb und halb zu diskulpieren
(entschuldigen)." (Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne,
Bewältigungsversuche eines Überwältigten, München 1988, S.112)
Noch mal zum Konzert im EXZESS
Die Ereignisse in Schönau und die Gegenmobilisierung lassen einen politischen Streit in den Hintergrund treten, der weder ausgetragen noch gelöst wurde. Auch auf die Gefahr hin, als "Nörgler" beschimpft zu werden, die keine "konstruktive" Kritik bringen (soll heißen eine, die nicht in die Konstrukte der linksradikalen Bewegung passen) wollen wir diese "Leiche im Keller" an die frische Luft bringen: Konzert im Exzess am 8. Mai. Ob das EXZESS mit der Veranstaltung
des Konzertes am 8. Mai die Zerschlagung des deutschen Nationalsozialismus
und die Hinderung des deutschen Volkes an weiteren Verbrechen, feiern wollte,
ist leider zu bezweifeln. Denn ausgerechnet die Einladung der Gruppe "Blitz",
die auch eine Skin-Kultband ist, und die Skins durch dieses Konzert
selbstverständlich auch nach Ffm-Bockenheim mobilisiert, spricht dagegen.
Aber der Protest und die Forderung
es abzusagen, hatten keinen Erfolg.
Das Konzert ist gelaufen, die Kacke
am Dampfen. Und Vieles auch nicht mehr gutzumachen, obwohl sich doch alle
so "redlich" bemühen. Oder zumindest so tun. Außer einige der
direkten VeranstalterInnen übt sich die Szene in Selbstkritik, getreu
dem Motto: "Ehrlich ! Wird nie wieder vorkommen !". Andere nehmen die Ereignisse
überhaupt nicht wahr. Sie machen nach dem 8. Mai weiterhin im Exzess
politische
Veranstaltungen, ohne die Ereignisse vor dem 8. Mai im Exzess zu
reflektieren.
Politisch wird die gesamte Angelegenheit
heruntergespielt. Ignoriert wird, daß sich die deutsch-nationale
Konsensfindung insbesondere in Bereichen durchsetzt, die als "politisch"
neutral gelten: Kulturell (Konzerte von Punks und Skinheads), sportlich
(Linke Liste veranstaltet am KOZ Fußballfernsehtag: Nationalmannschaft
und/oder Eintracht-Frankfurt), ökologisch (auch Linksradikale unterstützen
das staatliche Volkserziehungsprogramm "Getrennt-Sammeln"). Allesamt an
Sachlichkeit orientiert und im nationalen Rahmen. Völlig unpolitisch.
Auf den nächsten Seiten nochmal den Redebeitrag aus der MigrantInnen-Gruppe "Cafe-Morgenland" mit dem Vorwort für die Veröffentlichung in der "Swing".2) Zur "Vorgeschichte" Am 8. Mai 1992 fand in Bockenheim im
Cafe-Exzess (Leibzigerstr., FFM) ein Konzert statt. Es spielten u.a. Musik-Bands
wie "Blitz" aus GB, eine beliebte Gruppe bei den Skinheads (Oi-Musik).
Die Gruppe selbst versteht sich eher als links.
Nachfolgend ein Diskussionsbeitrag
von einigen MigrantInnen.
Exzesse
Diese Kritik richtet sich nicht an eine bestimmte Gruppe, sondern insgesamt an die linksradikalen Zusammenhänge. "Ist die Konstruktion
der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache,
so ist es desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben,
ich meine die rücksichtslose Kritik alles bestehenden, rücksichtslos
sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten
fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten."
(Karl Marx, 1843)
Die Ereignisse um und am 8. Mai 1992 in
Bockenheim waren der Höhepunkt einer schleichenden Tendenz in der
Linksradikalen Szene, die kurz nach dem Wiedervereinigungsschock eingesetzt
hat.
Diese Tendenz wird gefüttert von einem Klima, in dem das Deutschtum zusammengeschweißt werden soll. Deutschtum, das ist wie bezeichnenderweise mal beschrieben wurde "die Liebe zur Region, zum Kiez, zur Heimat, zu Volk und Vaterland, zum Boden und zur Muttererde, zur heimischen Artenvielfalt und zum deutschen Wald, zur Tradition, zu allem, was roh ist, häßlich aussieht, schlecht schmeckt, hart macht". Diese Tendenz wird gefüttert von einem Klima, in dem die Geschichte "siegesdeutsch" umgeschrieben werden soll. Deutschland ist nicht nur ein geographischer Begriff. Es ist längst ein ideologischer Kampfbegriff geworden. Dieses Land, jetzt in einer noch größeren Konstellation, birgt eine Gefahr in seiner Existenz, weil menschenverachtende Ideologien und Vernichtungsgedankengänge reproduziert werden. Solange dieses Hindernis nicht überwunden ist, ist für die Menschen, die hier leben, eine emanzipierte Gesellschaft nicht denkbar. Denn dies macht möglich, daß diese Population, die bis gestern noch Serben mit Sorben verwechselte, auf einmal klar den Feind erkannt hat. Dies macht möglich, daß Gestern, der 68jährige ex-DDR-Bürger Gerhard Bögelein wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe von ein Hamburger Gericht verurteilt wurde. Er wurde für schuldig befunden, im Jahre 1947 im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Klaipeda den früheren Oberstabsrichter Erich Kallmerten "aus Haß gegen die Nazijustiz" umgebracht zu haben. Zitat aus den Abschiedsbrief von Gerhard
Riege, PDS-Abgeordneter, 1992. "Sie werden den Sieg voll über uns
auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet
es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen
Flecken zu reinigen."
In der Geschichte vom 8. Mai 1992 waren
die Rollen in gewohnter Weise verteilt.
Ihr sagt, daß Ihr Euch von MigrantInnen
nichts vorschreiben laßt.
Am nächsten Tag, nachdem die Show
vorbei war, hat die Polizei die Leipzigerstr. abgeriegelt und Kontrollen
ausschließlich bei ausländischen Jugendlichen durchgeführt.
Die Kids waren wieder mal auf sich allein gestellt. Sie mußten selber
gucken wie sie zurechtkommen. Wie immer. Jeden Tag, in der ganzen Stadt.
Normalzustand in Deutschland.
Fußnoten: 1) Reaktionen 1992 auf einen Spendenaufruf der NDR-Panorama-Redaktion für Auschwitz: "Gern werde ich eine größere Summe spenden, wenn dadurch Auschwitz betriebsbereit bleibt (für Galinskis, Türken u.a.)" oder "Auch das Unterbringungsproblem für unsere Asylanten wäre so leicht zu lösen. Ich gebe freiwillig 50 kg Gas (Zyklon B)." 2) In der Swing Nr.43 erschien der Redebeitrag mit dem lapidaren Hinweis: "regionales gibts wieder ne ganz menge: ... - zur auseinandersetzung zwischen cafe morgenland und bzw. im exzeß haben wir eine längere zuschrift abgedruckt". Was den RedaktörInnen zu dem Redebeitrag einfällt ist "regional" und "lang". -------------------- |