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Du  bist Ostdeutschland (II)

 
FAZ v. 01.04.2006

Da rast der Saal
Von Klaus Ungerer

31. März 2006 Um sieben ist die Turnhalle voll, und einen größeren Saal hat Heinersdorf nicht. Mehr Volk drängt nach: die Jungspunde mit den schräggeschnittenen Hubschrauberlandeplätzen auf den Schädeln, die Damen im Gesteppten, die grauhaarigen Herren mit Meinung und sich überschlagender Stimme, die kregelen Gräfin-Dönhoff-Lookalikes sowie die vielen Hinguckbeauftragten, die sich am Ende des Abends erkennen werden im Getümmel, und die zwischen aufgeputschten Grüppchen und grünen Einsatzkommandos einander ansprechen werden und fragen: "Do you speak English? I am from French Television. Do you know where to get a taxi here?" und denen man wird antworten müssen: Man selbst ist auch mit Notizblock vom Himmel gefallen. Hierher, Heinersdorf, Berlin-Pankow.

Auf ihrer Homepage wirbt die deutsche Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde mit Koranzitaten für Religionsfreiheit. Seit 1958 hat sie in Deutschland achtzehn Moscheen gebaut, und für die neunzehnte hat sie gerade ein Grundstück gekauft. Aber nicht dort, wo der Fußballkumpel in der B-Jugend Ümit heißt; nirgends dort, wo man Döner ißt, ohne dabei über Religion nachzudenken. Sondern in Heinersdorf an der Tiniusstraße. Kürzlich wurde das Vorhaben im Bauausschuß des Bezirksamts vorgestellt. Mit großem Erfolg für die Bürgerbeteiligung im Land, diesen schlafenden Zyklopen: Hundert Heinersdorfer kamen und protestierten gegen den Neubau. Die NPD hat für den heutigen Samstag zum Marsch geblasen. Zur friedlichen Gegendemonstration werden sich die Kräfte des Guten an der Kirche Alt-Pankow versammeln, Bezirksamt, Bezirksparlament, Kirchengemeinden und das Netzwerk gegen Rassismus. Vorher aber hatte man die Bürgerversammlung anberaumt. Für Donnerstag abend.

Man tritt sich auf die Füße

Um halb acht soll sie beginnen. Viertel nach sieben sind auch die Bänke an den Hallenwänden voll, im Mittelgang tritt man sich auf die Füße. Von draußen klopft es an die Scheiben, da steht noch einmal eine Turnhallenladung Menschen - in der Moschee hätten die jetzt Platz, denkt man und behält es für sich. Gedankenaustausch ist geplant. Die in ganz Berlin hochangesehene ehemalige Ausländerbeauftragte steht bereit; Religionswissenschaftler sollen noch einmal erklären, daß eine Moschee keine Atomfabrik ist; geduldig warten zwei dunklerhäutige Herren mit Bücherstapeln auf die Eröffnung des Abends.

Zwei Stellungnahmen kursieren im Saal. Der Bezirksbürgermeister teilt in Kopie mit: Die Freiheit des Glaubens sei gemäß Grundgesetz unverletzlich, Berlin sei eine Metropole und die Heimat vieler Kirchen und Glaubensrichtungen; gerade heute sei es wichtig für Muslime, eine Moschee zu haben, in der dann ?Berlinerinnen und Berliner muslimischen und nichtmuslimischen Glaubens zusammenkommen und sich austauschen? könnten. Anonyme Heinersdorferinnen oder Heinersdorfer haben ebenfalls Papier mitgebracht. Unter den Schlagworten "Gewalt im Koran" und "Verhältnis zum Christentum"  werden blutdurstige Suren gezückt, wird die Website der Ahmadiyya-Gemeinde als Quelle genannt. Und das ist auch schon das Ende der Debatte. Weiter wird sie heute abend nicht mehr kommen.

Ihr Problem wird heute rausgehen

Denn jetzt kommt nur noch der Rückzug. Diejenigen Mächte, welche Zugang zum Saalmikrophon haben, geben einander Deckung gegen den wabernden Saal: Man könne ja eine zweite Versammlung einberufen für alle, die nicht mehr reingekommen sind (Aufschreie, Hohngelächter). Man könne die Versammlung aufheben und einen größeren Saal an anderer Stelle organisieren ("Buuuh!" - "Olympiastadion!"). Man sei vom RBB und habe eine Liveschalte ab 19.47 Uhr: "Ihr Problem wird heute rausgehen, viele Menschen werden es sehen und hören" (Heisere Beschwerden. Anschwellender Beifall für man weiß nicht was. Interviews. Zetersoli). Um acht steht schließlich ein Polizist am Mikrophon: "Der Veranstalter", sagt er, "kann für die Sicherheit in diesem Objekt nicht mehr garantieren. Daher bitte ich Sie, diese Turnhalle und die Schule zu verlassen."

Fäuste werden gereckt, geschrieen wird, Trillerpfeifen trillern; Sprechchöre melden: "Wir bleiben hier! Wir bleiben hier!" Die Interessen der Bürger würden in diesem Land überhaupt nicht mehr vertreten; "baulich" sei die Moschee "nicht passend"; der Bürgermeister solle rauskommen! Ein Mann sein! Man sei das Volk, man sei das Volk, man sei das Volk.

Der Heimweg ist ein schlechter Film. Überall schwappt's. "Ich habe nichts gegen Religion, aber bitte jeder in seinem Land." "Die können ja hier wohnen. Aber man muß doch keine Moschee bauen." "Unsere Schüler sind ohnehin schon so gewaltbereit." Da sucht man sich zur U-Bahn hin, finster schauen die Einsatzkräfte, und ein ganzer Fuhrpark an Mannschaftswagen hat sich über die Straßen verteilt, auf dem Parkplatz und auf Gehwegen, um die Grundschule herum in Heinersdorf, Pankow.