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(Auf der Kundgebung
und Demonstration
"Solidarität mit Israel. Gegen Antisemitismus und Antizionismus" in
Berlin am 14.04.2002
wurde eine gekürzte Fassung des folgenden Beitrages vorgetragen.)
Gott schütze Israel vor seinen
Feinden
und bewahre es vor seinen "Freunden"
So oder ähnlich könnte Mensch spontan reagieren angesichts der zur Zeit
gebildeten Völker- und Staatenfront gegen Israel, seine Regierung, seine
BewohnerInnen und seine Verteidigungsstrukturen. Weder ideologische noch
wirtschaftliche noch religiöse Differenzen zwischen den an diesen unsäglichen
Fronten Beteiligten waren stark genug, um das Ganze zu verhindern: Der
Antisemitismus erwies sich wieder mal als die stärkere Variante, die immer, wenn
es darauf ankommt, die Oberhand gewinnt. So und nur so ist zu erklären, warum
die weltweite "Wertegemeinschaft" ("zivilisiert" und "unzivilisiert") imstande
war, innerhalb von 24 Stunden ihre gemeinsame Grundlage auf die Straße und in
die für solche Fälle in Anspruch zu nehmenden Institutionen (UNO, EU,
Sicherheitsrat , Hilfsorganisationen usw.) ohne Abstriche und auf vielfältige
Weise zu tragen: Medial (keine staatliche Zensur hätte solche Erfolge in der
Berichterstattung wie die freiwillige Vollstreckung der "Sau-Raus-Lassens"
aufweisen können), staatlich (Offensive der EU-Staaten gemeinsam mit
ex-sozialistischen Staaten, Sicherheitsrat-Beschlüsse usw.) und zuletzt (aber
nicht weniger wichtig) durch den protestierenden Arm der Bewegung (massenhafte
Demos in den Groß- und Kleinstädten dieser Welt, Anschläge auf Synagogen, auf
Schulbusse, auf Menschen jüdischen Glaubens und ... und ... und).
Zur Erinnerung: Es war und ist völlig egal, wie Israel angesichts der Ermordung
seiner BürgerInnen reagierte und reagiert: Friedensplan-Annahme oder Ankündigung
einseitigen Waffenstillstands, Rückzug aus "umstrittenen" Gebieten, aber auch
Schaffung von Schutzzonen, Aufforderung nach Bestrafung der Täter oder gezielte
Angriffe auf die extremsten Auswüchse seiner Widersacher usw. Dahinter - laut
Frontberichterstattung - verbarg sich immer einer der brutalsten Aggressoren,
der Kinder umbringt, mit Vorliebe auf ZivilistInnen schießt usw.
Es ist auch völlig egal, über die Toten, die auf israelischer Seite zu beklagen
sind, zu sprechen; es ist völlig egal darüber zu reden, auf welche Art und
Weise, wie und warum sie umgebracht worden sind. Spätestens ab einem bestimmten
historischen Zeitpunkt weiß die Welt Bescheid: Juden sind die geborenen Opfer
und haben sich als solche zu leiden.
Nebenbei gemerkt: Es ist zum kotzen, zu beobachten, welches Verständnis - und
Sympathie - die Leute, die gar aus einem verdächtigen Husten einen "Terrorist"
ausmachen, für die Mordanschläge auf einmal aufbringen.
Und wenn die Bilder diese "Brutalität" nicht wiedergeben, müssen die verbalen
Berichte es tun. Auch dann, wenn die KommentatorInnen sich dabei lächerlich
machen müssen. So bemühen sie sich redlich (inzwischen ist die Anzahl der
westlichen Journalistenmeute in den Autonomie-Gebieten auf über 1.500
angewachsen), den Bildern, die sie selber zeigen, "nachzuhelfen": Panzer rollen
auf menschenleeren Straßen und die Journalisten kommentieren es als "brutalste
Angriffe auf die Zivilbevölkerung". Die Hamas gibt zu, dass 6 ihrer bewaffneten
Aktivisten von der israelischen Armee erschossen wurden (und schwört Rache) und
die Medien nennen es Massaker an Zivilisten (Radcak lässt grüßen). Die Bilder
zeigen israelische Soldaten, die den franziskanischen Mönchen Wasser und Früchte
übergeben, und der Journalistenmob spricht vom brutalsten Vorgehen der
israelischen Armee - gar gegen Christen - und vom sinnlosen bevorstehenden Sturm
auf die Kirche (sie nennen es sinnlos, obwohl in der gleichen Bildsequenz ein
Mönch erzählt, dass bei den in der Kirche Verschanzten jeder NUR eine Waffe
hat).
Seit einigen Tagen spitzt sich die Kriegspropaganda immer mehr zu: die Medien
(z.B. N-TV, Rote Kreuz u.a.) berichten von "Humanitären Katastrophen" in den
Autonomie-Gebieten, von "Internierungslagern" und von "Massengräbern". Nein, sie
sprechen NICHT von Serbien oder Kosovo, auch wenn genau die gleiche Sprüche noch
frisch in Erinnerung sind. Diesmal sprechen sie von Israel. Der Propaganda
folgen regierungsamtliche Ankündigungen: Bundeskanzler Schröder lässt seinen
Instinkten freien Lauf. Er denkt laut nach über Militärintervention im Nahen
Osten - mit deutscher Beteiligung versteht sich, weil beide Seiten nicht
imstande sind, den "Konflikt von sich aus zu lösen". Und wenn beide Seiten -
insbesondere eine bestimmte Seite - sich unanständig benimmt, dann müssen
verständlicherweise die Deutschen die Umerziehungsaufgabe übernehmen. Fischer
droht mit einem Friedensplan. Die EU überlegt, wie und in welcher Form die
bekannte Kampfparole "Kauft nicht bei Juden" umgesetzt werden kann: Sie will
Wirtschaftssanktionen gegen Israel aufrufen, um "Druck auf Israel auszuüben".
Mehr als die gesamte israelische Armee aber gehört der Ministerpräsident
Israels, Ariel Sharon zu den gehasstesten Politikern. Ersatz für den inzwischen
angeklagten Milosevic? Rache für die Anti-UÇK-Position von Ariel Sharon, als er
noch Oppositionspolitiker war?
Wir meinen: wohl kaum. Auch wenn die genannten Erklärungen eine Rolle spielen
könnten, hat die hier praktizierte Hetz-Kampagne eine wesentlich weitreichendere
Grundlage: Ariel Sharon wagte mit allen Konsequenzen, sich gegen den Willen der
Staatengemeinschaft und sogar gegen die Aufforderung - jüngst - der Schutzmacht
Israels, der USA, nach sofortigem Rückzug zu stellen, sich zu Wehr zu setzen.
Unverschämtheit. Juden kann man alles verzeihen (die Deutschen waren sogar
dabei, ihnen Auschwitz zu verzeihen), nur eines nicht:: anstatt in die
Opferrolle, für die sie die Welt bestimmt hat, zu schlüpfen, bringen sie die
ganze Weltordnung und Werteskala durcheinander und wagen, sich zu wehren. Ariel
Sharon steht für die Personifizierung dieses "Unheils" wie kein anderer. Wie
schön und herzzerreißend war die Zeit noch vor ein paar Jahren, als die deutsche
Nation - aus ihrem endlosen Mitleid für die Opfer - schluchzend aus dem Film
"Schindlers Liste" rausströmte und den trauenden Komparsen spielte, wo sie doch
die Protagonistin war.
Um keine falsche Schlüsse zu ziehen: Auch wenn der Hass bei den früheren
Ministerpräsidenten Israels nicht so offen und zugespitzt war: gehasst wurden
sie alle, von Barak und Netanjahu bis zu den noch früheren. Erst nach ihrem Tod
wurden ihre "guten" Seiten - wie im Fall des ermordeten Ministerpräsidenten
Ytzhak Rabin entdeckt (er bekam besonders gute Noten, da sein Mörder ein Jude
war).
Genügen diese paar Beispiele oder genügen sie nicht? Anscheinend genügen sie
nicht. Nicht weil sie nicht faktenreich sind, nicht weil sie nicht nachweisbar
sind, sondern einzig und allein, weil sie keine Rolle spielen: Der Krieg im
Nahen Osten ist und bleibt ein Anlass und nicht die Begründung für die oben
geschilderte Entwicklung.
Wenn Mann/Frau nach Gründen für die flächendeckenden antisemitischen Proteste
sucht, dann genügt es vollkommen, die Anschläge auf die jüdischen Friedhöfe zu
zählen, dann genügt es, die Bilder von ausgebrannten Synagogen anzuschauen, dann
genügt es, genauer zuzuhören, wenn auf Palästina-Soli-Demos "Tod den Juden" oder
"Sharon nach Den Haag" skandiert und die blau-weiße Davidsternfahne verbrannt
wird.
Und diejenigen, die Emanzipation und Befreiung auf ihre Fahne schreiben? Sie
machen voll mit: Die einen direkt und hemmungslos ("Tabubrecher"), die anderen
auch, allerdings - geübt in den jüngsten Auseinandersetzungen über
Antisemitismus - indem sie vorher das Ritual der Lippenbekenntnisse: "wir stehen
für das Existenzrecht Israels", "wir sind gegen Antisemitismus" usw.
nachplappern, um danach - mit guten Gewissen - zu der nächsten Palästina- oder
Friedensdemo (diese zu Ostern stattgefundenen antisemitischen Manifestationen)
zu rennen, um das gleiche zu tun wie die, die sie kritisieren.
Im Land der Täter gehört inzwischen der deutsche Wahn zum guten Umgangston. Die
Regierungserklärungen hören sich nicht nur bloß wie ein Ultimatum an, sie sind
es auch. Der zivilisierte Mob reibt sich die Hände und spricht vornehmlich etwas
von "beiden Seiten, die nachgeben müssen", "wie schrecklich das alles ist" usw.,
um gleichzeitig zu betonen, dass Mann/Frau sich mit Äußerungen zurückhalten soll
(zum Glück!).
Und die Mehrheit, der kleine Mann auf der Straße und am Stammtisch? Da wird
alles ausgekotzt, was sich zeitweise angestaut hat. Die Sprüche sind bekannt,
die Handlungen auch. Wie sagte einer von uns? Wenn du deinen Freund loswerden
willst, dann leihe ihm Geld oder bekenne dich solidarisch zu Israel. In beiden
Fällen siehst du ihn nie wieder.
Im Ernst: Wir gestehen nur dann jemandem im Land der Täter das Recht zu, Kritik
an Israel zu üben, wenn er/sie seine elementaren Hausaufgaben gemacht hat: Die
Zerschlagung der antisemitischen Brut, die Abschaffung des völkischen Konsens in
der deutsche Gesellschaft usw. Da diese Elementaraufgaben eine ziemlich - wenn
sie überhaupt einmal in Angriff genommen würden - lange Zeitspanne in Anspruch
nehmen würden, ist davon auszugehen, dass wir es zu unserer Lebzeit nicht mehr
erleben werden.
Deutschland und Europa waren und sind die Hauptsponsoren nicht nur der zivilen,
sondern und vor allem der militärischen und propagandistischen Strukturen der
Autonomie-Behörde. Noch vor etwa 2 Monaten verlangten die EU-Staaten
"Entschädigungszahlungen" von Israel (sie machten sich nicht einmal die Mühe,
einen anderen als diesen historisch besetzten Begriff zu verwenden), weil die
israelische Armee den Flughafen und das Rundfunkgebäude der "Autonomie-Behörde"
bombardierte. Begründung: All das und viele andere Bauten sind durch
EU-Investitionen finanziert worden!
Noch interessanter als diese Unverschämtheit ist das offene Plaudern über die
inzwischen in die "Autonomie-Gebiete" transferierten Geldsummen in
Milliardenhöhe.
Und in Europa? Wovor wir immer gewarnt haben, dass "die Nachkriegsgesellschaften
auf antisemitischer Grundlage wiederaufgebaut sind," wird zur bitteren Realität:
in Belgien häufen sich die Anschläge auf jüdische Einrichtungen, in der Türkei -
die traditionell eine freundschaftliche Beziehung zu Israel unterhielt, wird der
Ton der Regierungssprecher immer rauer und der Schrei der Straße immer
aggressiver. Selbst in Frankreich, dem Land mit der größten Jüdische Gemeinde,
haben in den letzten Jahren über 400 antisemitische Anschläge stattgefunden.
Allein innerhalb von 9 Tagen wurden 14 Anschläge registriert. Um es symbolisch
auszudrücken: Der im französischem Film "Hass" kultivierte Mythos über
"multikulturelle" Freundschaft und über den Widerstand gegen die strukturelle
und staatliche Repression ist wie eine Seifenblase geplatzt: Der aus Algerien
stammende Said hat in seinem Freund Vinced den Juden Vinced entdeckt und ihm die
Freundschaft gekündigt. Der antisemitische Rausch war doch stärker als der Hass
gegen die gemeinsamen Verfolgern.
Was übrig bleibt, sind ein paar verstreute jüdische Gemeinden und ihre Freunde,
die sich dagegen wehren und in und gegen eine Umgebung leben, die von Tag zu Tag
aggressiver und vor allem direkter mit ihren Drohungen wird, indem sie ihre
Schlinge immer enger zieht.
Was übrig bleibt, ist die Entscheidung, ein Schluss- und Trennstrich zu ziehen
zwischen denen, die heute (egal aus welchen Gründen) keine praktische
Solidarität mit Israel und mit den hier lebenden Jüdinnen und Juden üben und
denen, die ohne wenn und aber gegen die für die Jüdischen Gemeinden bedrohlich
gewordene Situation vorgehen.
Dazwischen gibt es nichts!
Resultat des Holocaust waren drei Ereignisse: Das entscheidende und alles
überragende war die Vernichtung von 6 Millionen Jüdinnen und Juden. Es gab auch
2 weitere Resultate: Der Wiederaufbau des Staates der Täter, der BRD und die
Gründung des Staates der Opfer, Israel, des Zufluchtsorts der Opfer. Dieses
letztgenannter Resultat ist und bleibt für die Deutschen aller Couleur die
einzige, die beständige und ausschlaggebende Grundlage (für diejenigen, die so
was brauchen), um ohne gesonderte Begründungsverstärker praktische Solidarität
mit dem Zufluchtsort der Opfer und deren Nachkommen zu üben. Dabei ist es völlig
egal, welche Politik die jeweilige Israel-Regierung verfolgt.
Es ist inakzeptabel und verwerflich, dass als Begründung für Solidarität mit
Israel die Vorzüge der israelischen Gesellschaft - als eine demokratische,
liberale und gegenüber Minderheiten tolerante - hervorgehoben werden. Ob die
Israelis die richtige oder die falsche Staatsform ausgewählt haben, ob sie die
bessere oder schlechtere Einstellung zu Minderheiten haben, spielt in
Zusammenhang mit der Haltung zu diesem Staat absolut keine Rolle, es darf keine
Rolle spielen.
Sobald diese und/oder ähnliche Argumente zur Rechtfertigung der eigenen
solidarischen Haltung zu Israel oder gar zur Legitimation des Verteidigungs-
bzw. Existenzanspruchs Israels herangezogen werden, entlarven sie sich trotz des
wohlwollend charmanten Äußeren als zur Tatenlosigkeit verfluchte
Tötungsinstrumente. Haben also die Juden wieder mal Glück gehabt, die richtige
Staatsformation ausgewählt zu haben? Haben sie wiederum Glück gehabt, dass sie
"Zivilisationsmerkmale" vorweisen können? Was würde passieren, wenn etwas davon
nicht mehr stimmte (was z.B. angesichts der Eskalation durchaus möglich ist;
auch die liberalste Gesellschaft kann ihren Charakter ändern, wenn sie 50 Jahre
lang im Kriegszustand lebt).
Warum sind die Jahrtausende lange Verfolgung, die Diaspora und schließlich und
ausschlaggebend Auschwitz nicht genug für alle Zeiten?
Und wir?
Wir gestehen davon zu träumen, dass eines Tages die jüdischen und die
palästinensischen Gemeinden gemeinsam die nächste Kundgebung organisieren (am
besten ohne uns), um die dann getroffenen Vereinbarungen, die eine friedliche
Koexistenz garantieren, zu feiern.
Gern würden wir dabei zuschauen. Nicht weil dadurch dem Antisemitismus seine
Grundlage entzogen würde, sondern weil wir uns eine Atempause bis zum nächsten
Anlass erhoffen könnten.
Jean Améry schrieb in "Der ehrbare Antisemitismus":
"Fest steht: Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder
Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar. Er kann
ordinär reden, dann heißt das "Verbrecherstaat Israel". Er kann es auf
manierlichere Art machen und vom "Brückenkopf des Imperialismus" sprechen.
Ich weiß so gut wie irgendwer und jedermann, dass Israel objektiv die
unerfreuliche Rolle der
Besatzungsmacht trägt. Alles zu justifizieren, was die diversen Regierungen
Israels unternehmen, fällt mir nicht ein. Meine persönlichen Beziehungen zu
diesem Land ... sind quasi null: Ich habe es niemals besucht, spreche seine
Sprache nicht, seine Kultur ist mir auf geradezu schmähliche Weise fremd, seine
Religion ist nicht die meine.
Dennoch ist das Bestehen dieses Staatswesens mir wichtiger als das irgendeines
anderen".
Solidarität mit Israel
Deutschland halt 's Maul
Café Morgenland
Frankfurt am Main, den 12.04.2002
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