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Redebeitrag zur Demo am 18.5.97 in Babenhausen

 

Wir stehen hier vor dem Rathaus von Babenhausen.

 

Babenhausen ist eine moderne Stadt. Der Bürgermeister, Kurt Lambert, stellt seine Stadt im Internet vor: "Zunächst dürfen wir Sie herzlichst in Babenhausen begrüßen. Wir freuen uns über Ihren Besuch und Ihre Absicht unsere Stadt kennenzulernen". Obwohl wir wahrscheinlich nicht die Besucher sind, die Herr Lambert herzlich zu begrüßen wünscht, sind wir hierher gekommen. Und gleich als wir in die Stadt kamen, haben wir sie kennen gelernt: Am Ortsrand, zwei niedergebrannte Häuser, angezündet in der Nacht zum 1.Mai: Die Täter hinterließen in den Häusern antisemitische Schmierereien. Am Brand-Ort ist eine beklemmende Stille: keine betroffenen Bürger, keine der üblichen Mahnwachen, niemand der sein Bedauern ausdrückt. Wen wundert´s.

 

Die Ruinen, die wir gesehen haben, gehören Tony Abraham Merin. Der Brand ist der Höhepunkt einer antisemitischen Kampagne der Stadt Babenhausen gegen ihren wenig geliebten jüdischen "Mitbürger" - dem Einzigen übrigens. Die Palette des Streits, der Angriffe und Kränkungen ist lang. Eine antisemitische Gemeinschaft ergänzt sich arbeitsteilig: die Stadtverwaltung hat ihre administrativen Mittel (was da sind z.B ein Bebauungsplan oder Wegerecht), die Bürger haben ihren altbewährten Antisemitismus (z.B Drohbriefe und Aufmarsch der Nazi-Söhne am Vater-Tag vor dem Haus Merins, das Stammtischgespräch vom "Berufsjuden") und die Aktivisten greifen zum Benzin. Jene sind die Brandbeschleuniger im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Es hat nicht ausgereicht Tony Merin dazu zu bringen, Babenhausen und auch dieses Land zu verlassen, sondern es soll in Babenhausen auch nichts mehr an ihn erinnern. Deshalb hat man sich auch noch an seinem Eigentum vergriffen, nachdem er schon nicht mehr hier wohnte. Sicher hat man ihm auch noch übelgenommen, daß er sich vehement gegen die Angriffe seitens Babenhäuser Bürger - vorneweg deren "Meister" Herr Lambert - zur Wehr gesetzt hat und nicht still und leise seine Koffer packte. Und wenn er es getan hätte, wäre es auch nicht weiter aufgefallen. Niemand hat es groß interessiert oder bedauert. Nur er hat die Angriffe öffentlich gemacht.

 

Bürgermeister Kurt Lambert erzählt per Internet weiter:

"Gerade demjenigen, der zum ersten Mal durch unsere Straßen geht, fallen die reizvollen Fachwerkhäuser auf." In der Tat, sobald man in die Altstadt kommt, wird's behaglich: Idyllisches Fachwerk und gepflegte mittelalterliche Stadtanlagen. Doch "Mißtraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück". In Häusern der Fahrstraße. und Amtsgasse lebte die jüdische Gemeinde von Babenhausen vom Mittelalter bis 1942. Von den Babenhäuser Juden, die den Nationalsozialismus überlebten, kam 1945 keiner hierher zurück. Die arisierten schmucken Fachwerkhäuser allerdings stehen heute noch, die wegen "Überschuldung" enteignete Synagoge wurde umgebaut; die neuen Eigentümer haben noch heute einen Nutzen.

Als die Amerikaner 1945 die Stadt eroberten, war es für kurze Zeit vorbei mit der Idylle: Sie sprengten das Rathaus. Bürgermeister Klein, der 1932 gewählt wurde und bis 1945 regierte, flüchtete - nicht gerade wie es einem Herrenmenschen geziemt - mit dem Fahrrad. Was ihm wenig nutzte. Er wurde verhaftet, kam ins Gefängnis und verschiedene Lager der Alliierten. Doch die Störung der deutschen Ordnung und Sicherheit durch die fremden Mächte währte nicht lange. Aus dem Gefängnis entlassen, arbeitete er für die Kreissparkasse, wurde 1. Vorsitzender des Wanderklubs "Berg Auf", gründete die "Unabhängige Wählergruppe". Wie überall in Deutschland half man sich gegenseitig wieder zum ehrbaren Bürger, gemeinsam standen die Ober- und Untertäter die schwere Zeit durch. 1952 kehrte Klein in die Mitte der Gesellschaft zurück, eine absolute Mehrheit wählte ihn wieder zum Bürgermeister. So konnte das erfahrene Personal den Wiederaufbau betreiben und sich gegen Wiedergutmachungszahlungen erfolgreich wehren und die arisierten Fachwerkhäuser behalten.

1960 trat Klein aus gesundheitlichen Gründen als Bürgermeister zurück und wurde zum Ehrenbürger ernannt. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er seinem Lebenswerk, und schreibt seine Erinnerungen: "Hier in Babenhausen waren schon viele Juden ausgewandert. Das waren aber vorwiegend die Reichen, die Armen mußten bleiben. Es wurde zwar auch über die Juden geschimpft, auch von Leuten, die nicht in der Partei waren. Manchmal hörte man auch, sie sollten in Polen oder sonstwo im Osten angesiedelt werden. Ich behandelte sie wie andere Bürger auch, manchmal kamen sie und suchten Rat bei mir. Aber was konnte ich schon viel raten. Stets war ich behilflich, wenn einer auswandern wollte ...".

Programmatisch und zukunftsweisend läßt er seinen "Blick zurück !", so der Titel der Biographie, enden: "Damit möchte ich das Kapitel "Juden" abschließen, denn es soll ja hier lediglich von Babenhausen die Rede sein."

Doch den Vorwurf, die Babenhäuser hätten ihre "Vergangenheit" nicht aufgearbeitet, kann man ihnen nicht machen. Geradezu vorbildlich wird der ermordeten Juden gedacht: der Gedenkstein an der Bleiche, von einem Steinmetz aus Babenhausen gestaltet, wurde am 9. November 1988 zum 50. Jahrestag der Pogrome mit einem Festakt enthüllt. Die Stadt hatte zur Feierstunde ehemalige jüdische Bürger eingeladen, die nun in Frankreich oder Peru leben. Anna Merin, die mehrere Konzentrationslager mit schweren gesundheitlichen Schäden überlebt hatte und in Babenhausen wohnte, war nicht eingeladen worden.

 

Der Heimat- und Geschichtsverein veröffentlichte zum selben Datum das Buch "Die Juden von Babenhausen", und die Gedenktafel hier am Rathaus nennt ausführlich alle Opfergruppen des Nationalsozialismus.

"Erinnern", "gedenken", bewältigen" oder "aufarbeiten", diese pflichtbewußten Begriffe für das Verhältnis der Deutschen zu ihren Verbrechen, trennen fein säuberlich das "Vergangene" von der Gegenwart. So kann z.B im Bundestag, angesichts der Wehrmachtsausstellung, über das "Vergangene" geweint werden, und zeitgleich in Hinterzimmern fraktionsübergeifend ein Überfall der Bundeswehr auf Albanien beschlossen werden. Das hat wohl Bundespräsident Herzog gemeint, als er im tschechischen Parlament sagte: "Nicht vergessen oder verdrängen, erinnern macht frei !"

 

Diese "Erinnerungsarbeit" heißt in Babenhausen, sich mit den ermordeten und vertriebenen Juden zu beschäftigen. Die in Babenhausen Lebenden können mit reinem Gewissen verfolgt werden. Jeder Hinweis auf existierenden Antisemitismus kann durch den Verweis auf die Arbeit der Babenhäuser Barfußhistoriker zurückgewiesen werden.

Demgemäß ist für Bürgermeister Lambert das Denkmal, der aktive Heimat- und Geschichtsverein, die Gastfreundlichkeit der Stadt gegenüber ehemaligen jüdischen Bewohnern und der städtische Obolus für eine Gedenktafel deutscher Kommunen in Jerusalem der Nachweis, ja der Beweis, daß die Stadt, wie er sagt, "mit diesen Leuten (gemeint sind die Juden) absolut keine Probleme hat."

Wir haben verstanden, Juden sind in der Stadt gern gesehen, aber nur zu offiziellen Gedenk-Zeiten und nur mit Rückfahrkarte. Wir glauben dem Bürgermeister gerne, wenn er 1993 sagte, daß es im Stadtrat angesichts der bevorstehenden Auswanderung Tony Merins "kein großes Verlangen (gibt), mit ihm ins Reine zu kommen."

Das ist verständlich, denn Bewältigen heißt erledigen, abschließen, hinter sich bringen. Wer seine Vergangenheit "bewältigen" will, will sie loswerden. (nach Gert Kalow)

 

Antisemitismus kann Bürgermeister Lambert bei sich und in Babenhausen nicht feststellen. Er steht mitten im Wald und fragt, wo sind hier die Bäume. Er ist genauestens darüber informiert,

- was in den Drohbriefen und am Telefon zu Merin gesagt oder geschrieben wird,

- welche Sprüche seine "lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen" am Stammtisch drauf haben,

- wie im Stadtrat über Merin gesprochen wurde,

- wie das Ganze von einer antisemitischen Stimmung zur tödlichen Tat kumuliert.

Aber nein, Antisemitismus oder rassistische Angriffe in Babenhausen hält er "für nicht bewiesen".

Es sprudelt nur so aus ihm heraus: Merin "sei behandelt worden, wie jeder andere auch" (wir erinnern an den gleichen Spruch von Bürgermeister Klein selig) und bedient sich aus dem Wörterbuch des Unmenschen: eine "Sonderbehandlung" werde es nicht geben. Auch Lambert weiß, was "Sonderbehandlung" in Deutschland für Juden hieß: der Tod durch Erschießen, Erhängen, oder durch Gas. Deshalb hat er die Bezeichnung pointiert gesetzt. Er kennt die Wirkung auf Überlebende, wenn er von "Sonderbehandlung" spricht. In einem Wort steckt das Vernichtungspotential des deutschen Kollektivs.

Es ist schade, daß er an dieser Stelle nicht zu uns sprechen kann, besser können wir es wahrscheinlich nicht formulieren und auf den Punkt bringen. Er würde z.B. zu uns sagen:

"Er (Merin ist gemeint) verlangt, daß wir vor ihm stramm stehen, bloß weil er ein Jude ist" und offenbart damit doch bloß seine eigene Auffassung darüber, wie ein Jude vor ihm zu stehen habe.

 

Damit wollen wir das Kapitel Lambert abschließen, denn es soll hier ja schließlich um den Antisemitismus in ganz Babenhausen gehen.

Der wird nämlich nach dieser Demonstration weitergehen. Die BürgerInnen Babenhausens werden sich in die tiefsten Niederungen ihrer antisemitischen Phantasien begeben und kein Argument, keine Konstruktion wird ihnen zu schmutzig oder zu dumm sein, um von sich abzulenken und andere zu beschimpfen. So werden sie versuchen, jegliche Dreckkübel über Tony Merin auszuschütten.

Aber, es wird auf sie zurückfallen; es wird nur noch mehr deutlich werden, welcher Gesinnung und Taten sie fähig sind.

Aber darüber wird der Babenhäuser Heimatverein keine Geschichten erzählen. Wie das Kaff in trauter Volksgemeinschaft versuchte den "Bürger" Tony Merin fertig zu machen, und dabei noch das Kunststück fertigbrachte sich selbst als das Opfer darzustellen.

 

Fluchschrift