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Babenhausen - nach 20 Jahren ist der "Schandfleck" beseitigt (10.01.2018)
Babenhausen - sechs Jahre danach
Sechs Jahre nach dem Brandanschlag auf die Häuser von Tony Merin plagt die
SPD-Babenhausen die "Aussendarstellung" der Stadt. Im vergangenen Jahr klagte
sie in einer Pressemitteilung:
"Wenn wir weg wollen von dem Image einer Kleinstadt, die am Rande einer
schmuddeligen Bundesstraße liegt, dann müssen wir endlich die Ärmel
hochkrempeln. Unsere Aussendarstellung ist noch immer geprägt von Kaserne,
Unterführung und dem höchst unansehnlichen Schlusspunkt "Merin-Ruine" Richtung
Aschaffenburg. Fast niemand kennt unsere schöne Altstadt und unser Schloss"
(SPD-Bürgermeisterkandidat Claus Coutandin).
Nicht der Brandanschlag selbst ist ihr Problem und schadet dem Ansehen der
Stadt, sondern das, was davon übrig geblieben ist. Und das, was die SPD als
"unsere schöne Altstadt" bezeichnet, ist das ehemalige jüdische Viertel,
"arisiertes" jüdisches Eigentum. Denn im Gegensatz zu Toni Merin, haben die
deportierten und ermordeten Juden ordentliche Fachwerkhäuser hinterlassen,
solche die Touris anlocken, während Merin diese Tradition nicht zu pflegen
vermochte und nicht bereit war das Ergebnis der Brandstifter zu verschönern oder
am besten ganz abzureissen. Im Gegenteil, er wollte die ausgebrannten Häuser als
Mahnmal für das antisemitische Babenhausen stehen lassen.
Zur Erinnerung:
1993 hatte sich Tony Merin entschlossen, aufgrund der sich häufenden
antisemitischen Angriffe, in die USA zu gehen ("Wir brennen dir die Bude ab" war
eine der vielen Drohungen; 2 Dutzend Jugendliche demonstrierten am Vatertag vor
seinem Haus mit Hitlergruß; die Radmuttern seines Autos wurden gelöst). Er
fürchtete um sein Leben.
In der Nacht zum (national)revolutionären 1.Mai 1997 wurden dann die ständigen
Drohungen und Babenhausener Stammtischgespräche wahr gemacht: Seine Häuser
wurden angezündet und brannten vollständig aus. Es muß eine größere Truppe
unterwegs gewesen sein: Das Feuer wurde gleichzeitig an mehreren Stellen gelegt,
9 Benzinkanister wurden im Haus gefunden, die Wände waren mit antisemitischen
und rechtsradikalen Schmierereien übersät. Monatelange Ermittlungen durch die
Polizei und auch eine ausgesetzte Belohnung brachte keinen Haarriß in die
Babenhausener Volksgemeinschaft. Die Ermittlungen wurden eingestellt, ohne Täter
zu benennen.
"Jetzt ist Babenhausen judenfrei" hat Tony Merin den Bewohnern nicht nur ins
Stammbuch, sondern auch auf ein Schild an seinen Häusern geschrieben.
Aus Protest gegen den Anschlag und die Bewohner fand am 18.05.1997 eine kleine,
aber feine Demo in Babenhausen statt.
(siehe unten)
6 Jahre nach unserer Demo kamen wir wieder zu einer Visite in die Stadt. Das
dort Erlebte hat uns auf den Boden der deutschen Realität gebracht und den
Verdacht verstärkt, dass auch wir - trotz wesentlicher Fortschritte - noch weit
davon entfernt, sind das Ausmaß des permanenten Elends dieser Population zu
erfassen.
Wir kamen über die B26 direkt an die ausgebrannten Ruinen von Toni Merin
("Richtung Aschaffenburg"). Nach Aussage der SPD hatten wir an irgendwelche
städtischen Zwangsmaßnahmen (der Zwangsabriss der Häuser wurde damals schon Toni
Merin angedroht), im Rahmen des üblichen Motto "unser Dorf soll schöner werden",
gedacht. Aber die ausgebrannten Häuser stehen noch. Nichts hat sich geändert.
Nur das Gras um die Häuser herum ist meterhoch gewachsen. An einigen Stellen der
Fassade sind noch die Spuren der übermalten Nazi-Symbole zu sehen. An einer
anderen Stelle ein frisches Hakenkreuz, hastig gesprüht. Ein Schild "Zu
verkaufen" hängt im Hof, von Toni Merin angebracht.
Als wir kamen, sind zwei Deutsche aus den Häuserruinen gerannt, eilig in ihren
Wagen eingestiegen und weggefahren (wir haben sie anscheinend gestört). Gerade
noch das Auto-Kennzeichen konnten wir notieren (MIL-...). Es sieht so aus, als
ob die ausgebrannten Häuser zur Pilgerstätte für Bewunderer solcher Taten
geworden sind.
Wir haben ein paar Fotos gemacht und sind nach Babenhausen rein gefahren,
entlang der damaligen Demo-Route, durch die engen Gassen mit den "arisierten"
Fachwerkhäusern, vorbei an der Parkanlage, wo sie ihr Volksfest wegen der
befürchteten Demo-Militanz absagen mussten, bis zum Platz der
Abschlusskundgebung, dem Mahnmal für die ermordeten Juden von Babenhausen.
Das Mahnmal war nicht beschädigt (so was muss man inzwischen extra betonen), nur
2-3 kleine Steine waren drauf gelegt (es ist zu vermuten, dass irgendwelche
Gutdeutsche sie darauf gelegt haben, solche von der Sorte, die sich in den
Bräuchen und Sitten des Judentums so gut auskennen, daß sie zum Ritual keine
wirklichen Juden mehr brauchen - wie gesagt, "zu vermuten").
Anschließend fuhren wir zum jüdischen Friedhof. Auch hier, an der benachbarten
Mauer, sind die Spuren von Nazischmierereien - trotz Übermalung - noch deutlich
zu sehen. Dagegen sieht man vom Friedhof kaum mehr was. Drei Meter hohe, extra
dafür angelegte ausgewachsene Büsche rund herum, lassen nicht mal einen Spalt.
Grund: Um den Friedhof herum stehen deutsche Einfamilienhäuser, in Reih und
Glied, mit gepflegten Gärten, Gartenmöbeln, Kinderspielplätzchen - ordentliche
Anlagen. Nur noch vom Friedhofseingang war ein Blick ins Innere möglich. Ein
paar Grabsteine sind/wurden umgekippt. Am Eingang hängt ein Schild, dass für
Besucher der Schlüssel im Rathaus hinterlegt ist. Selbst den jüdischen Friedhof
haben sie komplett unter ihre Kontrolle gebracht. Dazu passt auch, daß eine
Spende, die Tony Merin der Stadt nach antisemitischen Schmierereien am Friedhof
angeboten hatte, abgelehnt wurde. Schließlich haben Juden in Babenhausen bzgl.
jüdischen Friedhofes nichts zu melden.
Gespenstische Ruhe im Viertel.
Es war genug, wir beschlossen abzuhauen. Zuvor wollten wir was trinken und haben
eine türkische Imbiss-Bude ausgesucht (es war unmöglich in diesem emotionalen
Zustand, irgendwelche deutsche Kneipen zu besuchen).
Kaum waren unsere Getränke bestellt, kam forsch eine deutsche Frau mit Latzhose,
blumig-alternativem Hemd und entsprechender Mine und sagte laut und bestimmend:
"Wer ist der Junge, mit dem ich vorhin am Telefon gestritten habe?". Der Junge,
der uns bedient hatte, meldete sich als der Gesuchte. Wir haben unser Gespräch
unterbrochen, da die Szene und die zu erwartende Eskalation altbekannt und
alltäglich ist. Daher der Versuch, den Dialog möglichst originalgetreu
wiederzugeben:
Babenhauserin: "Passen Sie mal auf ! Ich bin hierher gekommen, um unseren Streit
zu klären. Denn ich will nicht, dass ihr mein Haus anzündet und ich will auch
nicht, dass wir dann euer Haus anzünden". Plötzlich wurden wir 6 Jahre zurück
katapultiert: das Grölen der Jungdeutschen vor Merins Haus, die Nacht der
Benzinkanister und der Brandanschläge, die Hassblicke der Babenhausener während
unserer Demo.
Déja vu. Alles steht in Beziehung und Kontinuität zueinander: Der gepflegte
Garten des SS-Mannes gegenüber den Krematorien und die deutsche
Einfamilienhäuser um den jüdischen Friedhof herum.
Die Reihenfolge der ungeheuerliche Androhung: "Ich will nicht, dass ihr mein
Haus anzündet…"; das was sie dachte und vorhatte, projizierte sie auf ihre
zukünftige Opfer. Und alles war, wie gehabt: Die Tötungsabsicht und der Wahn,
dieser existentielle Lebensvernichtungstrip einer Population, die bei jeder
passenden (und nicht passenden) Gelegenheit herausschreit: "wir sind bereit".
Und kein deutscher Angriff, ohne die obligatorische Behauptung selbst
angegriffen zu werden, sich gegen eine Bedrohung verteidigen zu müssen.
Der Imbiss-Verkäufer ignorierte die Sprüche und sagte lapidar, "geht schon in
Ordnung". Die Frau ließ aber nicht nach und setzte noch eins drauf: "Sie können
von Glück reden, dass ich hier bin und nicht mein Mann". Die deutsche
Geschlechter-Arbeitsteilung beim Vernichten: Die deutsche Frau für die
Verpflegung, der deutsche Mann für das Grobe. Ihr Gesprächspartner blieb in
seiner Ignoranz stur. "Ja, ja" sagte er und widmete sich seiner Tätigkeit, den
Telefonbestellungen von Fast-Food. Nach einigem hin und her, hat die Frau dann
das Gespräch für beendet erklärt und schloß mit den Satz, "schließlich kaufen
wir gern hier ein, es schmeckt uns ja auch", und lieferte zugleich den Grund,
warum sie bisher die Kanaken-Bude nicht angezündet haben. Brennzlich (im
wörtlichen Sinne) wird es also erst, wenn der Koch wechselt.
Die Frau ging weg, wir fragten den Jungen, was da los war. Er erzählte uns, dass
er mit ihrem Mann - sie ist Lehrerin! - Krach hatte, weil er ihn, bei
Anlieferung einer Bestellung beleidigte, von wegen "unzivilisierte Türken",
"…wie sie mit ihren Frauen umgehen" usw.
Kommentar des Verkäufers: "Das war doch alles vor 100 oder 50 Jahre, heute ist
die Türkei so wie hier, was erzählt der Mann für ein Zeug?". Wir widersprachen
ihm, wegen des "wie hier" und wiesen auf den Brandanschlag auf das Haus von
Merin hin. "Ha, der Toni" sagte er mit freundlicher, vertrauter Mine. "Er hat
das einzig Richtige getan, drauf scheißen und abhauen. So viel ich weiß hat er
zurzeit Krach mit der Stadt". "Kennen Sie ihn?" "Na klar, er kam immer wieder
hier vorbei mit seiner dicken S-Klasse" sagte der Junge mit einer Mischung aus
Stolz und Freude (über die S-Klasse von Merin).
"Vor zwei Jahren haben die Nazis versucht durch Babenhausen zu marschieren. Die
Stadt hat aber die Demo verboten" erzählte er weiter. Wie es aussieht, haben
auch die Neo-Nazis unsere Demo nicht verdauen können und wollten ihre Revanche
haben. "Die Nazidemo wäre ja auch überflüssig gewesen, es gab ja kein Grund
mehr, nachdem der letzte noch in Babenhausen lebende Jude weggejagt wurde. Wozu
also die Demo zulassen?" kommentierten wir die Info.
"Befürchten Sie nicht, dass solche Sprüche von der Frau vorhin auch umgesetzt
werden?". Er machte sich nicht mal die Mühe irgendwelche relativierende Parolen
los zu werden, etwa so wie "sie sind nicht alle so" oder "es gibt auch nette
Leute" oder auf Linksdeutsch "die antifaschistischen Kräfte vor Ort" ("gruppe
demontage"), sondern antwortete mit einem selbstsicheren Lächeln: "Wir sind zu
viele, sie würden es nicht wagen" und lieferte zugleich den einzigen,
gesicherten Grund seiner Gelassenheit.
Wir verabschiedeten uns von den Leuten aus der Imbiss-Bude. Auf dem Rückweg
kamen wir über das, was wir gerade erlebt hatten, ins Grübeln. Denn das Erlebte
sprengte jede Wahrscheinlichkeitstheorie. Nach 6 Jahren, d.h. nach über 170.536
Stunden, kamen wir für 2 Stunden an einem Sonntagnachmittag nach Babenhausen.
Wir sprachen mit niemandem, wir provozierten niemanden, wir "kratzten nicht an".
Unter diesen Bedingungen, wäre normalerweise die mathematische
Wahrscheinlichkeit so was zu erleben, genau so hoch, wie in der
Strassenbahnlinie Nr. 11 in Zürich, um 12.30 Uhr an einem Sonntagnachmittag, von
einem Krokodil gebissen zu werden! Wie gesagt: normalerweise.
Wir sollten wieder kommen, um auch die Leute von der Imbiss-Bude zu besuchen.
Wer weiß, vielleicht arbeitet der Junge, dessen Haus eine Babenhauserin NICHT
anzünden will, immer noch da.
Café Morgenland und Fluchschrift
Juli 2003
Die antisemitischen
Flammen ersticken ... diesmal in Babenhausen (Demo-Aufruf Mai
1997 )
Babenhausen, ein Vorbild für Vergangenheits- und vor allem Gegenwartsbewältigung
(18.05.97)
Café Morgenland (F), Dirna
(HH), Köxuz (B), Sere Kevir (FR), !sol lez ruw! (N/M)
Redebeitrag in
Babenhausen (Fluchschrift, 18.051997)
gruppe demontage
versucht unseren Protest zu "demontieren" (Fluchschrift, September 1997)
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