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17.04.1942. Talnoje


Wer auf dem hohen Bahndamm bei Talnoje entlangkam, konnte auf dem sanft abfallenden Hügel seitlich der Stadt das einsame Gebäude des Schlachthofes erkennen. Hier vollendete sich die Tragödie von Talnoje - die Ermordung vieler Tausender unschuldiger Menschen durch die Deutschen. Talnoje, eine Stadt im Kiewer Gebiet, war zu mehr als der Hälfte von Juden bewohnt. Von all diesen jüdischen Einwohnern überlebte ein einziger, der Fleischer des städtischen Schlachthofes Julin. Am 19. September 1941 erließ der deutsche Kommandant von Talnoje den Befehl, die in der Stadt lebenden Juden zu registrieren. Als sie sich auf dem Platz vor der Kommandantur versammelt hatten, teilte man ihnen mit, daß sie in mehreren Schüben nach Uman umgesiedelt werden würden. Die Alten, die arbeitsunfähig waren, wurden ausgesondert, ins Kino und in das Klubhaus gebracht: Am folgenden Tag wurden alle erschossen.
Hinter dem Wald von Kulbida, einige Kilometer von der Stadt entfernt, liegt das Dorf Belaschki. Hier etwa wurden die aus Talnoje in Marsch gesetzten Juden angehalten und der gesamte Transport - mehr als tausend Menschen - mit Maschinengewehren erschossen.
Maria Fjodorowna Rosenfeld - heute Hauptbuchhalterin und stellvertretende Komsomolsekretärin des Kreiskomitees von Talnoje -  war mit einem Juden verheiratet; sie selbst ist Ukrainerin, ihr Mädchenname Moskalenko. Die Deutschen trieben die russischen und ukrainischen Frauen, die mit Juden verheiratet waren und Kinder hatten, in drei Wohnungen eines Hauses, in denen sich außer ihnen auch noch alte Leute befanden. Nahezu hundert Menschen, in einige kleine Zimmer gepfercht, warteten hier auf ihre Todesstunde.
Am I7. April 1942, um 5 Uhr bei Tagesanbruch, wurden alle, die sich im Haus befanden, auf den Hof geführt. Den Müttern, deren Männer Juden waren, nahm man die Kinder fort. Der Junge von Frau Moskalenko-Rosenfeld war fünf, das Mädchen drei Jahre alt. Für die Mütter hatten sich die Deutschen nicht den einfachen Totschlag, sondern eine andere Art der Hinrichtung ausgedacht. Sie warfen die Kinder wie lose Holzscheite auf einen Lastwagen und fuhren mit ihnen davon. Beim städtischen Schlachthof, jenem schrecklichen und verfluchten Ort, der vom hohen Bahndamm aus zu sehen war, wurden alle Kinder erschossen. Die Mütter ließen die Deutschen leben: überzeugt davon, sie bereits psychisch - und das für immer - getötet zu haben.
Der Fotograf Pogorezki, ein Russe, war mit einer jüdischen Frau verheiratet; sein Sohn wurde zusammen mit der Mutter erschossen, den Vater ließen sie am Leben. Im Dorf Glybotschek wurde der Dorfälteste von den Partisanen hingerichtet. Am folgenden Tag rotteten die Deutschen zwei jüdische Familien vollständig aus: die Familie Sigalowski und die Familie Chersonski. Neben dem Gebäude der Kommandantur hing lange Zeit der Körper der Jüdin Ratuschnaja: An ihrem Hals war eine leere Flasche befestigt -  einem der Deutschen, den die Ratuschnaja mit Milch zu versorgen hatte, war diese nicht sahnig genug gewesen. Jüdische Kinder töteren die SS-Leute auf folgende Weise: Ein SS-Mann zog das Kind mit einer Hand an den Haaren hoch, in der anderen hielt er die Pistole und schoß ihm ins Ohr. Einen Jungen mit einer Haarflechte versuchte der SS-Mann am Ohr hochzuziehen. Als das mißlang und der Junge zu Boden fiel, riß ihm der Deutsche die Höschen herunter und zertrat ihm mit dem Stiefelabsatz das Geschlecht. "Nun vermehre dich", sagte er unter dem Gelächter der anderen deutschen Soldaten.

Autor: W. LlDlN

aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994