Ein Bericht des polnischen Arztes Jan Gallus
[...] Zur Zeit der Besetzung von Dziekanka [die im Deutschen Tiegenhof
genannte Anstalt liegt nahe Gnesen, E. K.] durch den deutschen Okkupanten
am 11. September 1939 arbeiteten dort insgesamt 251 Personen, darunter 8
Ärzte und 6 Arztpraktikanten, 13 Angestellte, 194 Personen des
Pflegepersonals und 30 Personen des wirtschafts-technischen Personals; in
den 21 Pavillons der Anstalt weilten 1172 Kranke.
Der Okkupant wandte nach der Besetzung von Dziekanka eine anscheinend von
vorneherein geplante, etwas andere Methode an als in den anderen
psychiatrischen Anstalten in Polen (Koscian, Owinska, Chelm), wo man, wie
es bekannt ist, sofort das polnische Anstaltspersonal von den Kranken
getrennt und die Letzten auf eine brutale Weise teils mit dem Personal
zusammen (Chelm) ermordet hat. Es kann sein, daß dieser Beschluß des
Okkupanten neben dem von vorneherein erdachten Plan auch von der
Anstellung des ehemaligen Direktors von Dziekanka, Dr. med. Viktor Ratka,
beeinflußt wurde, der - Schlesier seiner Herkunft nach - sich vom ersten
Augenblick an nicht nur als Freund der Deutschen, sondern als ihr treuer
und ergebener Diener zeigte und in kurzer Zeit zu einem der ersten
»Volksdeutschen« in Gnesen und sogar zu einem »Sturmführer der S. A.«
wurde, obwohl er vorher ein angeblich treuer und ergebener »Pole« war und
seit einer Reihe von Jahren verschiedene Posten, wie z. B. die eines
Assistenten, Ober- und Chefarztes in Lubliniec, und dann seit 1934 des
Direktors in Dziekanka bekleidete. [...] Dieser Mann begann, nachdem er
sich einen ehemaligen Polen, und zwar einen Dr. Stefan Galon, ehemaliger
Chefarzt von Dziekanka, ebenfalls einen »Volksdeutschen«, zum Gehilfen
genommen hatte, sofort deutsch zu reden und erteilte dem übrigen
polnischen Personal die Anweisung, fortan unter Androhung der Entlassung
und verschiedener Strafen, nicht nur untereinander, sondern auch mit den
kranken Polen nur deutsch zu sprechen und ließ sich alle Beschwerden und
Bittschriften der kranken Polen, die ihm direkt vorgelegt wurden, zynisch
ins Deutsche übersetzen. Auf diese Weise wurde das übriggebliebene
polnische Personal unter Terror gesetzt und desto mehr verängstigt, weil
man ihm gegenüber verschiedene Schikanen angewandt hat, sogar Schläge, und
zwar Ohrfeigen, und weil die Macht in der Anstalt von den neuen deutschen
Kräften übernommen wurde, wobei der Direktor Ratka auf seinem alten Posten
geblieben ist. Diese deutschen Kräfte entließen in einer kurzen Zeit unter
verschiedenen Vorwänden einen Teil des übriggebliebenen Ärztepersonals
[...], Oberpfleger und Oberpflegerinnen, Abteilungspfleger und einen
großen Teil des Pflegepersonals, die entweder einfach entlassen (145
Personen) oder in andere Anstalten, wie z. B. Gostynin und Warta auf
untergeordnete Posten (10 Personen) straf- und dienstversetzt oder
schließlich als außergewöhnlich schädlich zur Zwangsarbeit nach dem
eigentlichen Deutschland (2 Personen) geschickt wurden. [...]
Gleichzeitig mit der Einführung der »neuen deutschen Ordnung« durch den
Direktor Ratka und Überschwemmung der Anstalt mit dem deutschen Personal,
das vom ersten Augenblick an sämtliche leitenden Stellen in der Anstalt,
und zwar sowohl in der Verwaltung als auch in der Kanzlei und in den
Abteilungen für Kranke übernommen hat, begann die systematische
Liquidierung der in der Dziekanka gebliebenen kranken Polen. Diese
Kranken, deren Zahl 1201 Personen betrug (die neuen Kranken strömten
nämlich immer weiter und keiner wurde entlassen), brachte man in Gruppen
zu je über zehn Personen in besonderen Lastwagen, hermetisch verschlossen
und beschlagen, oft mit irgendwelchen Leitungen, Röhren, die vom Motor aus
in das Innere des Wagens führten, versehen, in eine unbekannte Richtung
(Aussagen von Dr. Skrzypiec, Orlicki, Frankowski), hauptsächlich im Laufe
des Monats Dezember 1939 und im Januar 1940. [Es handelt sich um spezielle
Gaswagen, die mit CO-Gasflaschen bestückt sind. Ein Augenzeuge: »Von der
Zugmaschine (Traktor), an dem ein großer Behälter angebracht war,
wahrscheinlich für Gas, liefen bis zu dem Anhänger irgendwelche
Leitungen.« E. K.] Mit diesen Transporten beschäftigten sich besondere
SS-Einheiten, wobei aus der Anstalt täglich einige solcher Transporte
abfuhren. Die Kranken, die zum jeweiligen Transport bestimmt wurden,
suchten nach eigenem Gutdünken die deutschen Pfleger und Pflegerinnen aus,
immer am Tag zuvor, sie wurden auch für die Nacht in besonderen
Abteilungssälen untergebracht, wo man sie auf den Weg entsprechend
»vorbereitet und präpariert« hat, wobei man ihnen wahrscheinlich
irgendwelche Betäubungsspritzen (Scopolamina?) verabreichte, weil danach
die Kranken, die am nächsten Tag durch das gleiche deutsche Personal zu
den Autos geführt wurden, schwankten und den Eindruck der Betäubten
gemacht haben, ein Teil von ihnen wurde, während sie unter sich machten,
brutal auf die Autos verladen, manche mußte man sogar tragen (Aussagen von
Dr. Skrzypiec, Orlicki, Bartoszak, Padalak und anderen). Dem polnischen
Personal drohte man auf seine Fragen, wohin und wozu diese Kranken
fortgebracht werden, und was für Spritzen man ihnen verabreicht, mit
verschiedenartigen Strafen wegen allzugroßer Neugierde und befahl unter
Androhung der Todesstrafe darüber, was in der Anstalt geschieht, zu
schweigen, man schlug sogar zynisch vor, an der Fahrt teilzunehmen. Wohin
die Kranken gebracht wurden und was man dann mit ihnen getan hat, konnte
man vorläufig nicht feststellen, es war lediglich bekannt, daß die Autos
auf den Straßen in die Richtung nach Posen oder Wrzesnia fuhren und nach
einigen Stunden zurückkamen, um neue Transporte abzuholen. Die Zeit ihrer
Abwesenheit sowie die Zähler, auf die einen Blick zu werfen dem polnischen
Personal, das nach solchen Fahrten die beschmutzten Wagen wusch, gelungen
ist, deuten darauf hin, daß die Fahrten ihr Ziel im Umkreis von 60-70
Kilometer von Gnesno hatten, und daß man auf Seiten- und Waldwegen
gefahren ist, wofür der Schmutz und die Kratzer auf den Autos sowie die
darin gebliebenen Waldzweige, Schneefußspuren, wobei der Schnee mit Moos
und Nadeln vermischt waren, sprachen, usw. (Aussagen des Kraftfahrers
Zielonko W.) Darüber, was für Szenen sich zwischen den Opfern und ihren
Henkern abgespielt haben, zeigten oft die zerkratzten Hände von den
Henkern, ihre zerrissenen Uniformen und abgerissenen Knöpfe sowie die in
Autos gebliebenen Spuren von Blut und Fetzen der Kleidung von Kranken. Die
wenigen Familien dieser Kranken erhielten eine Weile nach der
»Evakuierung« (wie das offiziell hieß) eine Benachrichtigung, daß dieser
oder jener Kranke in eine andere, meistens weit entfernte Anstalt, wie z.
B. Tworki, verlegt wurde und nach einer weiteren Zeitspanne folgte dann
die Mitteilung, daß der Kranke dort aus diesem oder jenem Grunde gestorben
ist, oft unter Angabe von Nummer und Platzziffer des Grabes, wo der Kranke
begraben wurde [...]
Diese Schreiben über die Kranken, die angeblich nach Dziekanka, Koscian,
Bojanowo, Tworki oder in andere Anstalten im Generalgouvernement verlegt
wurden und unterwegs gestorben wären, sind charakteristisch und haben fast
den gleichen Wortlaut, darum erlaube ich mir, eins von ihnen, z. B. das
Schreiben Nr. 6, in Übersetzung vollständig zu zitieren:
Reichsstatthalter Posen, den 24. 8.40
Woiwodschaftsselbstverwaltung
Psychiatrische Anstalt Dziekanka
An
Katarzyna Malecka
Gniezno
Kcynskastraße 6
Ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 11.1.1940 betreffend den Aufenthalt
Ihres Ehemannes des psychisch kranken
Stefan Malecki,
geboren am 16.11.1896 in Slepowo, Kreis Gniezno, und teile Ihnen mit, daß
laut Akten der Psychiatrischen Landesanstalt Dziekanka Ihr Ehemann aus
Organisationsgründen in die Psychiatrische Landesanstalt in Koscian
verlegt wurde. Da die Psychiatrische Anstalt Koscian aufgelöst ist, wurde
Ihr Ehemann in eine der psychiatrischen Anstalten im Generalgouvernement
verlegt. Er wurde zusammen mit anderen Kranken für die Psychiatrische
Anstalt in Tworki bei Warschau vorgesehen. Wegen Typhusverdacht wurde
dieser Transport unterbrochen. Die Kranken wurden in einem Sanatorium,
dessen Namen hier nicht bekannt ist, interniert. Ihr Ehemann starb jedoch
bereits während des Transportes. Als Todestag ist in den Akten der
24.1.1940 eingetragen. Todesursache: Gehirnlähmung.
Die von dem die Kranken transportierenden Arzt ausgestellte ärztliche
Todesbestätigung wird in der Anlage beigefügt.
Im Auftrage gez.: Dr. Friemert
Auf diese Weise wurden binnen fast einem Monat, indem man vom 7.12.1939
bis zum 12.1.1940 rechnet, 1043 Personen und 1941158 Personen von den
psychisch kranken Polen, die zu der Zeit in Dziekanka waren, vernichtet.
Eine genaue Liste dieser Personen mit Angabe von Namen, Vornamen und Tagen
der »Evakuierung« gelang es mir zu ermitteln und festzustellen auf Grund
der Evidenz, welche in einem besonderen von den im Januar flüchtenden
Deutschen zusammen mit einem Teil der Geheimakten zurückgelassenen Buch
sich befand.
..............
In Dziekanka blieben von den alten Patienten der Anstalt, nachdem die oben
erwähnten Kranken fortgeschafft wurden, lediglich einige Deutsche der
Abstammung nach und einige kranke Polen, die übrigens wirklich unter
Lebensgefahr von dem polnischen Personal weggestohlen und zu ihren
Familien geschickt wurden, sowie 3-4 Polen, die von den Deutschen selbst
als ausgezeichnete Arbeiter gerettet wurden (darunter einer, der im Garten
des Direktors Ratka gearbeitet hat). An Stelle von fortgebrachten und
vernichteten Polen begann man sofort, die psychisch kranken Deutschen aus
verschiedenen polnischen und später auch deutschen Anstalten, und zwar
sogar aus dem Rheinland, zu bringen ...
»Nur ein deutscher
Offizier, ein Arzt, zeigte Interesse für die psychisch Kranken.
Während der Besichtigung des psychiatrischen Krankenhauses wurde er
auf eine kranke, geistig minderentwickelte junge Frau von einem sehr
kleinen Schädel aufmerksam. Er äußerte den Wunsch, das Gehirn dieser
Kranken an die Universitätsklinik in Königsberg zu schicken und fragte
den Arzt, den Leiter des Krankenhauses, ob er Behälter und Spiritus
zwecks Konservierung des Gehirns besäße. Auf die Entgegnung des
Arztes, daß dieses kranke Mädchen noch lebt und daß übrigens kein
Spiritus im Krankenhaus vorhanden ist, antwortete der deutsche Arzt,
daß er versuchen wird, diese Kranke nach Königsberg zu schicken, da
die Konservierung ihres Gehirns unmöglich sei.«
Roman Markuszewic über die »Liquidierung des psychiatrischen
Krankenhauses in Choroszcz« bei Bialystok, in: »Deutsche Verbrechen an
den Geisteskranken in Polen«, Warschau 1949
(Ärztlich-wissenschaftliches Verlagsinstitut). |
aus:
Ernst Klee (Hrsg)
Dokumente zur "Euthanasie", 1985 |