<<
 

Vom 7. Dezember 1939 bis zum 12. Januar 1940 über tausend Menschen mit Gaswagen ermordet

 


Ein Bericht des polnischen Arztes Jan Gallus

[...] Zur Zeit der Besetzung von Dziekanka [die im Deutschen Tiegenhof genannte Anstalt liegt nahe Gnesen, E. K.] durch den deutschen Okkupanten am 11. September 1939 arbeiteten dort insgesamt 251 Personen, darunter 8 Ärzte und 6 Arztpraktikanten, 13 Angestellte, 194 Personen des Pflegepersonals und 30 Personen des wirtschafts-technischen Personals; in den 21 Pavillons der Anstalt weilten 1172 Kranke.
Der Okkupant wandte nach der Besetzung von Dziekanka eine anscheinend von vorneherein geplante, etwas andere Methode an als in den anderen psychiatrischen Anstalten in Polen (Koscian, Owinska, Chelm), wo man, wie es bekannt ist, sofort das polnische Anstaltspersonal von den Kranken getrennt und die Letzten auf eine brutale Weise teils mit dem Personal zusammen (Chelm) ermordet hat. Es kann sein, daß dieser Beschluß des Okkupanten neben dem von vorneherein erdachten Plan auch von der Anstellung des ehemaligen Direktors von Dziekanka, Dr. med. Viktor Ratka, beeinflußt wurde, der - Schlesier seiner Herkunft nach - sich vom ersten Augenblick an nicht nur als Freund der Deutschen, sondern als ihr treuer und ergebener Diener zeigte und in kurzer Zeit zu einem der ersten »Volksdeutschen« in Gnesen und sogar zu einem »Sturmführer der S. A.« wurde, obwohl er vorher ein angeblich treuer und ergebener »Pole« war und seit einer Reihe von Jahren verschiedene Posten, wie z. B. die eines Assistenten, Ober- und Chefarztes in Lubliniec, und dann seit 1934 des Direktors in Dziekanka bekleidete. [...] Dieser Mann begann, nachdem er sich einen ehemaligen Polen, und zwar einen Dr. Stefan Galon, ehemaliger Chefarzt von Dziekanka, ebenfalls einen »Volksdeutschen«, zum Gehilfen genommen hatte, sofort deutsch zu reden und erteilte dem übrigen polnischen Personal die Anweisung, fortan unter Androhung der Entlassung und verschiedener Strafen, nicht nur untereinander, sondern auch mit den kranken Polen nur deutsch zu sprechen und ließ sich alle Beschwerden und Bittschriften der kranken Polen, die ihm direkt vorgelegt wurden, zynisch ins Deutsche übersetzen. Auf diese Weise wurde das übriggebliebene polnische Personal unter Terror gesetzt und desto mehr verängstigt, weil man ihm gegenüber verschiedene Schikanen angewandt hat, sogar Schläge, und zwar Ohrfeigen, und weil die Macht in der Anstalt von den neuen deutschen Kräften übernommen wurde, wobei der Direktor Ratka auf seinem alten Posten geblieben ist. Diese deutschen Kräfte entließen in einer kurzen Zeit unter verschiedenen Vorwänden einen Teil des übriggebliebenen Ärztepersonals [...], Oberpfleger und Oberpflegerinnen, Abteilungspfleger und einen großen Teil des Pflegepersonals, die entweder einfach entlassen (145 Personen) oder in andere Anstalten, wie z. B. Gostynin und Warta auf untergeordnete Posten (10 Personen) straf- und dienstversetzt oder schließlich als außergewöhnlich schädlich zur Zwangsarbeit nach dem eigentlichen Deutschland (2 Personen) geschickt wurden. [...]

Gleichzeitig mit der Einführung der »neuen deutschen Ordnung« durch den Direktor Ratka und Überschwemmung der Anstalt mit dem deutschen Personal, das vom ersten Augenblick an sämtliche leitenden Stellen in der Anstalt, und zwar sowohl in der Verwaltung als auch in der Kanzlei und in den Abteilungen für Kranke übernommen hat, begann die systematische Liquidierung der in der Dziekanka gebliebenen kranken Polen. Diese Kranken, deren Zahl 1201 Personen betrug (die neuen Kranken strömten nämlich immer weiter und keiner wurde entlassen), brachte man in Gruppen zu je über zehn Personen in besonderen Lastwagen, hermetisch verschlossen und beschlagen, oft mit irgendwelchen Leitungen, Röhren, die vom Motor aus in das Innere des Wagens führten, versehen, in eine unbekannte Richtung (Aussagen von Dr. Skrzypiec, Orlicki, Frankowski), hauptsächlich im Laufe des Monats Dezember 1939 und im Januar 1940. [Es handelt sich um spezielle Gaswagen, die mit CO-Gasflaschen bestückt sind. Ein Augenzeuge: »Von der Zugmaschine (Traktor), an dem ein großer Behälter angebracht war, wahrscheinlich für Gas, liefen bis zu dem Anhänger irgendwelche Leitungen.« E. K.] Mit diesen Transporten beschäftigten sich besondere SS-Einheiten, wobei aus der Anstalt täglich einige solcher Transporte abfuhren. Die Kranken, die zum jeweiligen Transport bestimmt wurden, suchten nach eigenem Gutdünken die deutschen Pfleger und Pflegerinnen aus, immer am Tag zuvor, sie wurden auch für die Nacht in besonderen Abteilungssälen untergebracht, wo man sie auf den Weg entsprechend »vorbereitet und präpariert« hat, wobei man ihnen wahrscheinlich irgendwelche Betäubungsspritzen (Scopolamina?) verabreichte, weil danach die Kranken, die am nächsten Tag durch das gleiche deutsche Personal zu den Autos geführt wurden, schwankten und den Eindruck der Betäubten gemacht haben, ein Teil von ihnen wurde, während sie unter sich machten, brutal auf die Autos verladen, manche mußte man sogar tragen (Aussagen von Dr. Skrzypiec, Orlicki, Bartoszak, Padalak und anderen). Dem polnischen Personal drohte man auf seine Fragen, wohin und wozu diese Kranken fortgebracht werden, und was für Spritzen man ihnen verabreicht, mit verschiedenartigen Strafen wegen allzugroßer Neugierde und befahl unter Androhung der Todesstrafe darüber, was in der Anstalt geschieht, zu schweigen, man schlug sogar zynisch vor, an der Fahrt teilzunehmen. Wohin die Kranken gebracht wurden und was man dann mit ihnen getan hat, konnte man vorläufig nicht feststellen, es war lediglich bekannt, daß die Autos auf den Straßen in die Richtung nach Posen oder Wrzesnia fuhren und nach einigen Stunden zurückkamen, um neue Transporte abzuholen. Die Zeit ihrer Abwesenheit sowie die Zähler, auf die einen Blick zu werfen dem polnischen Personal, das nach solchen Fahrten die beschmutzten Wagen wusch, gelungen ist, deuten darauf hin, daß die Fahrten ihr Ziel im Umkreis von 60-70 Kilometer von Gnesno hatten, und daß man auf Seiten- und Waldwegen gefahren ist, wofür der Schmutz und die Kratzer auf den Autos sowie die darin gebliebenen Waldzweige, Schneefußspuren, wobei der Schnee mit Moos und Nadeln vermischt waren, sprachen, usw. (Aussagen des Kraftfahrers Zielonko W.) Darüber, was für Szenen sich zwischen den Opfern und ihren Henkern abgespielt haben, zeigten oft die zerkratzten Hände von den Henkern, ihre zerrissenen Uniformen und abgerissenen Knöpfe sowie die in Autos gebliebenen Spuren von Blut und Fetzen der Kleidung von Kranken. Die wenigen Familien dieser Kranken erhielten eine Weile nach der »Evakuierung« (wie das offiziell hieß) eine Benachrichtigung, daß dieser oder jener Kranke in eine andere, meistens weit entfernte Anstalt, wie z. B. Tworki, verlegt wurde und nach einer weiteren Zeitspanne folgte dann die Mitteilung, daß der Kranke dort aus diesem oder jenem Grunde gestorben ist, oft unter Angabe von Nummer und Platzziffer des Grabes, wo der Kranke begraben wurde [...]
Diese Schreiben über die Kranken, die angeblich nach Dziekanka, Koscian, Bojanowo, Tworki oder in andere Anstalten im Generalgouvernement verlegt wurden und unterwegs gestorben wären, sind charakteristisch und haben fast den gleichen Wortlaut, darum erlaube ich mir, eins von ihnen, z. B. das Schreiben Nr. 6, in Übersetzung vollständig zu zitieren:

Reichsstatthalter Posen, den 24. 8.40
Woiwodschaftsselbstverwaltung
Psychiatrische Anstalt Dziekanka

An
Katarzyna Malecka
Gniezno
Kcynskastraße 6

Ich nehme Bezug auf Ihr Schreiben vom 11.1.1940 betreffend den Aufenthalt Ihres Ehemannes des psychisch kranken
Stefan Malecki,
geboren am 16.11.1896 in Slepowo, Kreis Gniezno, und teile Ihnen mit, daß laut Akten der Psychiatrischen Landesanstalt Dziekanka Ihr Ehemann aus Organisationsgründen in die Psychiatrische Landesanstalt in Koscian verlegt wurde. Da die Psychiatrische Anstalt Koscian aufgelöst ist, wurde Ihr Ehemann in eine der psychiatrischen Anstalten im Generalgouvernement verlegt. Er wurde zusammen mit anderen Kranken für die Psychiatrische Anstalt in Tworki bei Warschau vorgesehen. Wegen Typhusverdacht wurde dieser Transport unterbrochen. Die Kranken wurden in einem Sanatorium, dessen Namen hier nicht bekannt ist, interniert. Ihr Ehemann starb jedoch bereits während des Transportes. Als Todestag ist in den Akten der 24.1.1940 eingetragen. Todesursache: Gehirnlähmung.
Die von dem die Kranken transportierenden Arzt ausgestellte ärztliche Todesbestätigung wird in der Anlage beigefügt.
Im Auftrage gez.: Dr. Friemert

Auf diese Weise wurden binnen fast einem Monat, indem man vom 7.12.1939 bis zum 12.1.1940 rechnet, 1043 Personen und 1941158 Personen von den psychisch kranken Polen, die zu der Zeit in Dziekanka waren, vernichtet. Eine genaue Liste dieser Personen mit Angabe von Namen, Vornamen und Tagen der »Evakuierung« gelang es mir zu ermitteln und festzustellen auf Grund der Evidenz, welche in einem besonderen von den im Januar flüchtenden Deutschen zusammen mit einem Teil der Geheimakten zurückgelassenen Buch sich befand.
..............
In Dziekanka blieben von den alten Patienten der Anstalt, nachdem die oben erwähnten Kranken fortgeschafft wurden, lediglich einige Deutsche der Abstammung nach und einige kranke Polen, die übrigens wirklich unter Lebensgefahr von dem polnischen Personal weggestohlen und zu ihren Familien geschickt wurden, sowie 3-4 Polen, die von den Deutschen selbst als ausgezeichnete Arbeiter gerettet wurden (darunter einer, der im Garten des Direktors Ratka gearbeitet hat). An Stelle von fortgebrachten und vernichteten Polen begann man sofort, die psychisch kranken Deutschen aus verschiedenen polnischen und später auch deutschen Anstalten, und zwar sogar aus dem Rheinland, zu bringen ...
 
»Nur ein deutscher Offizier, ein Arzt, zeigte Interesse für die psychisch Kranken. Während der Besichtigung des psychiatrischen Krankenhauses wurde er auf eine kranke, geistig minderentwickelte junge Frau von einem sehr kleinen Schädel aufmerksam. Er äußerte den Wunsch, das Gehirn dieser Kranken an die Universitätsklinik in Königsberg zu schicken und fragte den Arzt, den Leiter des Krankenhauses, ob er Behälter und Spiritus zwecks Konservierung des Gehirns besäße. Auf die Entgegnung des Arztes, daß dieses kranke Mädchen noch lebt und daß übrigens kein Spiritus im Krankenhaus vorhanden ist, antwortete der deutsche Arzt, daß er versuchen wird, diese Kranke nach Königsberg zu schicken, da die Konservierung ihres Gehirns unmöglich sei.«
Roman Markuszewic über die »Liquidierung des psychiatrischen Krankenhauses in Choroszcz« bei Bialystok, in: »Deutsche Verbrechen an den Geisteskranken in Polen«, Warschau 1949 (Ärztlich-wissenschaftliches Verlagsinstitut).


aus:
Ernst Klee (Hrsg)
Dokumente zur "Euthanasie", 1985