Ende 1942 waren die Deportationen der deutschen .luden in die
Vernichtungslager im Osten weitgehend abgeschlossen. Insgesamt lebten zu
dieser Zeit nur noch etwa 10 Prozent von ehemals einer halben Million
jüdischer Deutscher von 1933 im »Altreich«, nämlich etwas über 50 000, die
überwiegend in Berlin und einigen wenigen anderen Großstädten konzentriert
waren. 20 000 .luden leisteten Zwangsarbeit in der Industrie. Um der
mehrfachen Forderung Hitlers nach endgültiger Entfernung aller .luden aus
Deutschland, auch der Zwangsarbeiter, nachzukommen, erließ das
Reichssicherheitshauptamt am 20. Februar 1943 »Richtlinien zur technischen
Durchführung der Evakuierung nach dem Osten (KL Auschwitz)«. Diese
Richtlinien leiteten die dritte und letzte große Razzia auf Juden in
Deutschland ein. Ausgenommen von dieser Anordnung waren nur die in
»Mischehe« lebenden Juden, die jedoch ebenfalls »zum Zwecke der Erfassung
aus den Betrieben entfernt« werden sollten, wie es in einem Durchführungserlass der Gestapo Frankfurt/Oder vom 27.2.1943 zu den vom RSHA herausgegebenen Richtlinien hieß. Gestapodokumente aus anderen
Teilen Deutschlands, etwa Westfalen, formulierten in vergleichbarem
Wortlaut, so Wolfgang Grüner, Zentrum für Antisemitismusforschung. Diese
Groß-Razzia, die »schlagartig am 27.2.1943 bei Beginn der Arbeitszeit«
durchzuführen sei, wurde unter dem Namen Fabrik-Aktion bekannt. In Berlin
lebten damals noch etwa 8000 Juden und Jüdinnen in »Mischehe«, die für die
Nazis seit längerem ein kompliziertes und kontrovers diskutiertes Problem darstellten. Es war zu Jahresbeginn 1943 immer noch nicht
gelöst. Von diesen 8000 Juden und Jüdinnen wurden im Zuge der
Fabrik-Aktion etwa 2000, überwiegend Männer, unter schrecklichen
Bedingungen - allein auf Grund der großen Zahl! - in einem Gebäude der
Gemeinde interniert. Zweck und Ende blieben für die Betroffenen und ihre
Angehörigen unbekannt. Nach dem, was sich in jenen Tagen in Berlin an
offener Brutalität und öffentlich ausgeübter Gewalt bei den Deportationen
Tausender jüdischer Menschen abspielte, mussten die Betroffenen das
Schlimmste befürchten.
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aus:
Viktoria Pollmann
Kein Ende einer Legende, Zu den Ereignissen in der Rosenstraße, Berlin, im
Februar 1943,
in: TRIBÜNE 171, 3/2004 |