Das VII. Fort
Bereits Ende Juni 1941 war das Zentralgefängnis von Kaunas überfüllt.
Daraufhin jagte man die Juden ohne Unterschied des Geschlechts und des
Alters ins VII. Fort, das sich am nördlichen Stadtrand befand. Hierher
wurden auch die jüdischen Flüchtlinge gebracht, die zu Beginn des Krieges
versucht hatten, sich evakuieren zu lassen, jedoch unterwegs von der
Wehrmacht eingeholt worden waren. Innerhalb weniger Tage trieb man etwa 10
000 Juden - Männer, Frauen und Kinder - in das VII. Fort. Die Frauen und
Kinder wurden ohne Nahrung und Wasser in die Kasematten gesperrt, sie
durften nicht einmal ins Freie, um ihre Notdurft zu verrichten. Die
Sterblichkeit in den Kasematten war hoch, die Toten durften nicht beerdigt
werden.
Die Männer und jungen Burschen hielten sie unter freiem Himmel gefangen,
in einem tiefen Graben, der die Kasematten von der Außenmauer des Forts
trennte. Auf den Wällen, entlang dem Graben und an der Außenseite der
Mauer waren Posten aufgestellt.
Die Wachen bestahlen die Gefangenen, sie nahmen ihnen Uhren, Geld und
Ringe fort. Kaum hatten sie entdeckt, daß jemand gute Schuhe oder ein
neues Jackett trug, führten sie ihn auch schon «zum Spaziergang» in das
Wäldchen, wo sie ihn entkleideten und erschossen.
Vier Tage und Nächte blieben die Menschen ohne Nahrung und Wasser. Auf die
nachhaltige Forderung der Häftlinge, sie entweder sofort umzubringen oder
aber Nahrung und Wasser herbeizuschaffen, wurde gesalzener Dörrfisch ins
Fort gebracht. Die ausgehungerten Menschen stürzten sich mit ihrem
Heißhunger auf den Fisch. Danach litten sie natürlich unter noch größerem
Durst. Am folgenden Tag brachte man ein Faß Wasser. 5000 Menschen sollten
sich in einer Reihe anstellen. Dann erklärten die Wachen, daß sie einem
Teil der Leute an einer anderen Stelle zu trinken geben würden. Das war
jedoch eine Provokation: Kaum hatten diese Menschen den Bereich des Forts
verlassen, als auch schon Schüsse aufpeitschten.
Im Verlaufe eines Tages kamen mehrmals Deutsche aus benachbarten
Truppenteilen, um Juden für Arbeiten auszuwählen. Zurückgebracht wurden
sie niemals wieder. «Jetzt erhaltet ihr eure Belohnung!» sagten die
Deutschen, wenn sie die Unglücklichen erschossen.
Anfang Juli fand in Kaunas ein Sportwettkampf statt. Die Sieger erhielten
als Prämie das Recht, sich im VII. Fort 25 Juden auszuwählen und sie
eigenhändig zu erschießen. Die «Sportler» nahmen die «Prämie« an. Sie
ermordeten die 25 Menschen vor den Augen der anderen Gefangenen.
Am 7. Juli früh wurde bekanntgegeben, daß alle Knaben unter 15 Jahren
vortreten sollten. Sie wurden noch am gleichen Tag zusammen mit den Frauen
und Kleinkindern aus dem VII. in das IX. Fort übergeführt. Es war ein
drückend heißer Tag. Die von Hunger gequälten Frauen, die kaum noch die
Füße heben konnten, wurden am Fluß Neris entlang geführt. Sie baten
flehentlich, ihren Durst löschen zu dürfen. Die Henker versagten es ihnen.
Dutzende Frauen brachen bewußtlos zusammen. Sie wurden auf der Stelle
erschossen.
Auch die zurückgebliebenen Männer wurden noch am gleichen Tag erschossen.
So endete die Tragödie des VII. Forts... *
(* Dem Bericht des «Einsatzkommandos» 3 vom 1.Dezember 1943 zufolge sind
in Kaunas im VII. Fort am 4. Juli 463 und am 6. Juli 2514 Juden umgebracht
worden. Die Aktion führten auf Befehl des Leiters des SD und der
Sicherheitspolizei litauische «Partisanen» durch.)
aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994 |