Aussage von Heinrich M., Angehöriger des 307. Polizeibataillons
Am Tage dieser Aktion wurde morgens gegen 3 Uhr geweckt. Der Exekutionstag
kann um den 10. Juli 1941 herum gewesen sein. Zunächst wurde angeordnet,
mit unseren Gewehren »98« und den Patronentaschen anzutreten... Zu unserem
bevorstehenden Einsatz wurde uns erklärt, wir hätten alle männlichen
Juden, die im Judenviertel wohnhaft sind, aus ihren Wohnungen zu holen und
auf der Straße aufzustellen. Sie durften sich anziehen und alles, was sie
tragen konnten, mitnehmen. Auch uns wurde erklärt, die Juden kämen dann
zum Abtransport nach Deutschland, wo sie zur Arbeit eingesetzt werden
sollen. .. Das Zusammentreiben der Juden und ihre Aufstellung auf den
Straßen innerhalb des Judenviertels dauerte etwa bis 6 Uhr morgens. Ein
Teil der Angehörigen unseres Batl. wurde dann mit Lkw zur Exekutionsstelle
gefahren. Alle anderen Angehörigen des Batl. bewachten die Juden auf ihrem
Marsch zur Exekutionsstelle. .. Die Exekutionsstelle lag südlich der Stadt
Brest-Litowsk, außerhalb der Befestigungswerke in einer dünenähnlichen
Landschaft. Die Fahrtzeit bis dorthin von der Stadtmitte her betrug ca. 15
Minuten...
Bei unserem Eintreffen, also morgens gegen 6.30Uhr, stand eine SS-Einheit,
wahrscheinlich in Kompaniestärke. Sie trugen Maschinenpistolen und haben
das Gelände in größerem Umkreis, ca. 600 m Durchmesser, abgesperrt. Außer
den SS-Leuten waren auch SD-Leute in grauer Uniform anwesend. Diese Leute
beschäftigten sich nach der Erschießung der Männer, soviel ich nachher
hörte, noch mit Frauen und Kindern, die am Nachmittag von SS-Einheiten zum
Erschießungsplatz herangeführt wurden. Auch die SD-Leute waren
ausschließlich mit MP und Pistolen ausgerüstet...
Bei den Gruben, von denen etwa 12 vorhanden waren, handelte es sich um
solche von den Ausmaßen 10 m Länge, 2,5 m Breite und 3 bis 4 m Tiefe. Ich
schätze, daß eine solche Grube ca. 600 Leichen aufnahm. Der Erdaushub war
an den beiden Stirnseiten der Gruben aufgeworfen. Um einen Irrtum in der
Anzahl der an diesem Tage von uns erschossenen Juden zu vermeiden, weil
ich die Zahl 10000 nannte, möchte ich hier hervorheben, daß bei der jetzt
von mir zu schildernden Aktion nur ca. 6000 jüdische Männer erschossen
worden sind. 10000 sollen es, wie ich gesprächsweise nachher erfuhr,
geworden sein.
Chlorkalk oder andere Desinfektionsmittel standen nicht bereit. Kurz
nachdem wir mit den Lkws eingetroffen waren, kamen auch die Juden aus der
Stadt in einer großen Kolonne anmarschiert. Zirka 300 m abseits der Gruben
wurde die Kolonne angehalten.
Während die Juden ihr Gepäck abliefern bzw. auf einem Platz
zusammenstellen mußten, erfolgte die Einteilung der Schützen bei uns. Sie
wurde von den Zugführern vorgenommen. Danach wurden wir unterrichtet, wie
die Erschießung vor sich zu gehen hat. Ich weiß aber heute nicht mehr, wer
diese Anordnungen getroffen hat. Ich weiß auch nicht mehr, ob sie von
Offizieren oder Unterführern des Pol.-Batl. 307 oder von Leuten des SD
oder der SS kamen...
Gem. der zuletzt erwähnten Anordnungen wurden Gruppen von ca. 50 Mann an
die Gruben herangeführt, von denen sich zu beiden Längsseiten der Gruben
die Juden nebeneinander, mit dem Bauch zur Erde so hinlegen mußten, daß
ihr Kopf frei über den Grubenrand ragte. Der jeweilige Schütze, hinter
jedem Juden immer nur einer, stand an dessen Fußende mit Gewehr »98« und
aufgepflanztem Seitengewehr. Der Schuß wurde in der Weise abgegeben, daß
die Spitze des Seitengewehrs im Nacken des Delinquenten leicht angesetzt
und dann bei einem Neigungswinkel des Gewehrs von ca. 45 Grad
durchgekrümmt wurde und somit der Schuß brach. Durch Ein- und Ausschuß
wurde oft die Schädeldecke mit abgerissen. In verschiedenen Fällen, wo z.
B. der Neigungswinkel des Gewehres zu groß war oder der Delinquent den
Kopf im Moment der Abgabe des Schusses zu hoch hielt, erfolgten
Halsdurchschüsse. In diesen Fällen wurden von den Offizieren und
Zugführern Fangschüsse mit Pistolen abgegeben. Wir Schützen mußten die
Leichen dann selbst durch Hochheben eines Beines in die Grube werfen. Eine
besondere Schichtung der Leichen in den Gruben wurde nicht vorgenommen.
Auf die eben geschilderte Weise gingen die Erschießungen pausenlos bis zum
frühen Nachmittag.
An einer Grubenlängsseite kamen anfangs der Erschießungen immer ziemlich
gleichzeitig zehn bis zwölf Personen zur Exekution. Später konnte ein
gleichmäßiges Tempo nicht mehr eingehalten werden, wodurch eine
unregelmäßige Schußfolge entstand.
Die Delinquenten kamen bekleidet zur Grube. Kleidungsstücke brauchten sie
vorher nicht abzulegen.
Beendet war diese Aktion gegen 16 Uhr. Nach Beendigung der Aktion wurden
wir mittels Lkw zur Unterkunft abtransportiert. Der Dienst war für diesen
Tag beendet.
Tagsüber erhielten wir, soviel ich mich erinnere, keine Verpflegung und
ganz bestimmt keine alkoholhaltigen Getränke. Irgendeine Feierlichkeit hat
nicht stattgefunden.
Zu einer ausdrücklichen Geheimhaltung hinsichtlich dieser Aktion wurden
wir nicht verpflichtet. Unter uns Beamten wurde nach Durchführung dieser
Aktion kaum gesprochen und wenn, dann nur in verurteilendem Sinne. Die
betroffenen Juden gingen ihrem Schicksal fast ausschließlich mit einer
stoischen Gelassenheit und heroischen Haltung entgegen. Ich habe
persönlich die ganze Sache in einem gewissen Trancezustand überstanden und
mich über die betroffenen Juden nur wundern können. ..
Nach meinen eigenen Gedanken, im Zusammenhang mit meinem damaligen Handeln
befragt, muß ich ganz offen erklären, daß die Handlungsweise jedes
einzelnen von uns der eines Mörders gleichkommt. Ich bin Katholik und habe
schon aufgrund meiner religiösen Erziehung für dieses Geschehen keine
Erklärung finden können. Mein eigenes Schuldgefühl, welches ich ohne
Zweifel hatte, entschuldigte ich mit dem äußeren Rahmen.
aus:
Paul Kohl
Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944. Sowjetische
Überlebende berichten, 1995
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