Diesen Brief habe ich in der Ortschaft Byten im Gebiet Baranowitschi
gefunden. Geschrieben hat ihn Slata Wischnjatskaja vor ihrer Hinrichtung
und der ihrer zwölfjährigen Tochter Judith. Der Brief ist an ihren Mann,
den Vater des Kindes gerichtet. In Byten haben die Deutschen etwa 1800
Juden umgebracht.
Major
Wladimir Demidow
An Herrn
Wischnert
Orange, USA
(Brief in jiddischer Sprache).
31.Juli 1942
An meinen Moschele und all meiner Lieben!
Am 25. Juli hat hier ein schreckliches Massaker
stattgefunden, wie auch in allen anderen Städten. Es war Massenmord. Nur
350 Menschen sind am Leben geblieben. 850 wurden von den Mördern des
schwarzen Todes umgebracht. Wie junge Hunde warfen sie die Kinder in die
Abtritte, sie warfen sie lebendig in die Gruben. Viel kann ich nicht
schreiben, doch ich hoffe, daß irgend jemand zufällig mit dem Leben davon
kommt, der von unseren Qualen, von unserem blutigen Ende berichten wird.
Noch konnten wir uns retten ... doch wie lange noch? Wir erwarten jeden
Tag den Tod und beweinen unsere Nächsten. Die Deinen, Moschele, sind schon
tot. Doch ich beneide sie. Ich schließe, es ist unmöglich zu schreiben,
und ich kann ohnehin nicht ausdrücken, was wir erleiden. Bleibt alle
gesund. Das einzige, was Ihr für uns tun könnt, ist Rache an unseren
Mördern zu üben. Wir rufen Euch zu: Rächt uns! Ich küsse Euch inniglich.
Ich nehme vor unserem Tod Abschied von Euch allen.
(Nachschrift in polnischer Sprache)
Lieber Vater! Vor dem Tod nehme ich Abschied von Dir. Wir möchten so gerne
leben, doch man läßt uns nicht, wir werden umkommen. Ich habe solche Angst
vor diesem Tod, denn die kleinen Kinder werden lebend in die Grube
geworfen, Auf Wiedersehen für immer. Ich küsse dich inniglich.
Deine J.
Ein Kuß von G
aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994 |