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01.06.1933. Evangelische Kirche zur "Judenfrage"

 

"Auch andere Quellen weisen auf die tödliche Konsequenz der antisemitischen Weltanschauung hin. Am 1. Juni 1933 hielt der führende evangelische Theologe und Bibelwissenschaftler Gerhard Kittel in Tübingen einen Vortrag über »Die Judenfrage«, der auch veröffentlicht wurde. Darin arbeitete er die Grundzüge des kognitiven Modells von den Juden heraus, das sich im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts in Deutschland entwickelt hatte und mit der nationalsozialistischen Machtübernahme offizielle Staatspolitik geworden war. Die Juden, so stellte Kittel wie selbstverständlich fest, seien durch ihre »Rasse« ein Fremdkörper in Deutschland. Emanzipation und Assimilation hätten keineswegs eine Anpassung der Juden an die deutsche Gesellschaft erreicht, sondern es ihnen vielmehr ermöglicht, das deutsche Volk in Blut und Geist zu vergiften - mit katastrophalen Folgen. Wie solle man dieses »Problem« nun »lösen«? Kittel erörterte vier Möglichkeiten. Den Zionismus, die Schaffung eines jüdischen Staates in Palästina, lehnte er als nicht praktikabel ab. ebenso -aus bekannten Gründen - die Assimilation. Dann kam ein höchst bemerkenswerter Vorschlag: »Man kann den Juden auszurotten versuchen (Pogrom).«
Da für Kittel eine systematische, staatlich organisierte Vernichtung noch nicht vorstellbar war. orientierte er sich am Modell des Pogroms, was ihn dazu veranlaßle. die Ausrottung gleichfalls abzulehnen, weil sie praktisch wie politisch nicht durchführbar sei. Er plädierte schließlich für die eliminatorische »Lösung« einer »Fremdlingschaft«, also der Trennung der Juden von ihren Gastvölkern.ls; Daß dieser bedeutende Theologe bereits im Juni 1933 öffentlich die Ausrottung der Juden in Betracht ziehen konnte und dies auch noch fast beiläufig, zeigt die mörderische Bedrohung, die vom herrschenden ehminatorischen Antisemitismus ausging. Wenn schon der Theologe sich nicht zu umständlichen Rechtfertigungen genötigt sah, wie alltäglich mußten dann den gewöhnlichen Deutschen in den frühen dreißiger Jahren solche Erörterungen erscheinen!"

aus:
Daniel Jonah Goldhagen
Hitlers willige Vollstrecker, Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, 1998