"Am 22.Juni 1941 fielen die faschistischen deutschen Truppen in das
Sowjetland ein.
Das signalisierte die höchste Anspannung des faschistischen Deutschland im
Kampf um die Weltherrschaft. Hitler erklärte, dies werde ein Blitzkrieg
sein und gegen Ende 1941 werde es die UdSSR nicht mehr geben. Englischer
und amerikanischer Widerstand nach der Zerschlagung der Sowjetunion schien
undenkbar. Die Faschisten wähnten den «Blitzkrieg» in seiner
entscheidenden Phase. Zu diesem Zeitpunkt erreichte die Rassenpropaganda
der Faschisten ein bis dahin ungekanntes Ausmaß. Rechtzeitig vorbereitete,
ausführlich instruierte und bis an die Zähne bewaffnete SS-Banden,
Einsatzkommandos, Einsatzgruppen sowie Trupps des SD warteten auf den
Mordbefehl. Im Juni 1941 gab Hitler diesen Befehl. Es begann eine blutige
Abrechnung mit Millionen Sowjetbürgern und in erster Linie mit
Kommunisten, Kommissaren und Juden, wie sie die Menschheit bis dahin noch
nie erlebt hatte
Diese Abrechnung war ein Glied in einer Kette eines allgegenwärtigen
Terrors, mit dem die deutschen Faschisten den Widerstandswillen des
freiheitsliebenden Sowjetvolkes paralysieren wollten. Unerhörte
Grausamkeiten sollten die sowjetischen Menschen lähmen. Blut floß in
Strömen. Hunderttausende von Russen, Belorussen und Ukrainern wurden
abgeschlachtet.
Ein Geheimbefehl Hitlers, der vor dem Einfall in die Sowjetunion erlassen
worden war, erlaubte die Anwendung beliebiger Gewaltmaßnahmen gegenüber
der Bevölkerung sowjetischer Dörfer und Städte. Die Militärgerichte
erhielten im Sinne dieses Befehls die Instruktion, Beschwerden der
ukrainischen, russischen und belorussischen Bevölkerung über von Soldaten
und Offizieren der deutschen Armee begangene Gesetzwidrigkeiten nicht zu
verhandeln. Raub, Brandschatzung, Mord, Verhöhnungen, Gewaltanwendung der
Deutschen auf sowjetischem Territorium galten nicht als Verbrechen - sie
erfreuten sich vielmehr der Zustimmung und des Segens Hitlers, seiner
Feldmarschälle und Generäle. Auf diese Weise gingen Hunderttausende
kleiner und größerer Dörfer in Flammen auf. Ganze Gebiete wurden zu
«Wüstenzonen ». Im Zweistromgebiet zwischen Desna und Dnepr machten die
Deutschen fast alle Dörfer dem Erdboden gleich. Die weitläufigen Regionen
des Smolensker und des Orlower Gebiets wurden in unbewohnbare Wüsten
verwandelt. Die deutschen Instanzen setzten die Bevölkerung dieser Gebiete
bewußt größten Leiden, dem Hungertod und der Winterunbill aus. Millionen
Menschen, die ihr Obdach verloren hatten, lebten in den Wäldern, in
Erdhütten und aufgegebenen Schützengräben. Von beispielloser Grausamkeit
waren die Wirtschaftsmethoden der Deutschen in den Dörfern und Städten -
die Arbeit wurde zur Zwangsarbeit, zu einem Fluch, der über die Bauern
gekommen war: Die deutschen Aufseher, Polizisten und Landwirtschaftsführer
trieben die Bauern mit Peitschen und Knüppeln zur Arbeit und verhängten
Dutzende härtester Strafen für die geringfügigsten Verletzungen des
Zwangsarbeitsregimes.
Blühende Industriegebiete wurden verwüstet, herrliche Städte zerstört; die
dem Hungertod ausgelieferten Städter strömten auf der Suche nach Nahrung
in die Dörfer. Aber auch die Dörfer waren fast vollständig ausgeplündert.
Tag und Nacht gingen Güterzüge nach Deutschland ab, die mit geraubtem
Getreide, mit geraubten Industrieanlagen, Gegenständen des täglichen
Bedarfs, historischen Kostbarkeiten und Kunstwerken beladen waren.
Unendlich grausam waren die Lebensbedingungen der gefangenen Rotarmisten:
In den Lagern gingen Tausende an Hunger und Epidemien zugrunde, in
regelmäßigen Abständen kam es zu Massenhinrichtungen wehrloser Gefangener.
Bei derartigen Vernichtungsaktionen in der Nähe von Wjasma, Minsk und im
Gebiet Chelm kamen Hunderttausende Menschen um.
Diese Henkersarbeit galt den Hitlerleuten als Vorbereitung für die
Inbesitznahme des « östlichen Lebensraumes ». Der Mord an der russischen,
ukrainischen und belorussischen Zivilbevölkerung in einer Reihe von Orten
war nur der erste Schritt, um das von Hitler entworfene Programm der
völligen Ausrottung der slawischen Völker zu verwirklichen.
Gegenüber den Juden jedoch setzte der Faschismus diese blutrünstigen Pläne
sofort und überall in die Tat um. An jedem Ort vernichteten die deutschen
Okkupanten die gesamte jüdische Bevölkerung, die ihnen in die Hände fiel.
Alle - ohne Ausnahme - wurden zur Hinrichtung geführt. Kinder, die
noch nicht laufen konnten; Gelähmte und Kranke sowie hinfällige Alte, die
sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen konnten, wurden in Laken zur
Hinrichtungsstätte geschleppt oder auf Lastwagen und Fuhrwerken dorthin
transportiert.
Die Hinrichtung vollzog sich, selbst an Orten, die Hunderte, ja Tausende
Kilometer voneinander entfernt waren, fast immer auf die gleiche Art und
Weise. Diese beinahe vollkommene Gleichheit zeugte davon, daß vorbereitete
Geheiminstruktionen existierten. Die Henker hielten sich genau an diese
Instruktionen. Die Form und die Tiefe der Gruben, die Art und Weise des
Transportes zur Hinrichtungsstätte, die Erklärungen und Erläuterungen, die
die Deutschen den zur Hinrichtung geführten Menschen gaben, die sich oft
bis zur letzten Minute über ihr Schicksal im unklaren waren - all
das glich sich bis aufs Haar in Tausenden von Fällen."
Wassili Grossmann 1944, Vorwort zu:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994 |