Die Erschießungen gingen mit Präzision vonstatten. Um 15.30 Uhr wurden die
ersten fünf Opfer ausgewählt und in die dunklen Höhlen vor den Toren Roms
geführt. Die an den Händen gefesselten Gefangenen mußten sich auf den
Boden knien, mit dem Gesicht zur Wand, den Kopf nach unten geneigt. Die
Pistole wurde ihnen an das Genick gehalten. Auf Kommando drückte jeder der
fünf SS-Offiziere auf den vor ihn Knienden ab. In der Höhle verbreiteten
Lampen und Fackeln ein dämmriges Licht. Ein Arzt kontrollierte, ob der Tod
eingetreten war. Nach vier Minuten folgte ein weiterer Offizierstrupp mit
den nächsten fünf Gefangenen. Die etwa zehn weiteren Exekutionskommandos
bestanden aus jeweils fünf SS-Männern im Unteroffiziersrang, die im
Abstand von vierzig Minuten erneut zum Einsatz kamen. Widerstand von
Seiten der Opfer gab es kaum. Die meisten Gefangenen ließen sich wie die
Schafe zur Schlachtbank führen, selbst als sie später auf die Leichen
ihrer Vorgänger steigen mußten. Einige wenige Verzweifelte versuchten sich
zu wehren, wurden aber mit Gewehrkolben bewußtlos geschlagen. Die anderen
Gefangenen warteten draußen vor dem Höhleneingang, gefesselt und bewacht.
Sie müssen die Geräusche der Erschießungen gehört haben.
Ein SS-Hauptsturmführer kontrollierte die Liste der Gefangenen, rief die
Todeskandidaten in exzellentem Italienisch auf und markierte deren Namen
säuberlich mit einem Stern: Kriminalkommissar Erich Priebke. Er hatte
Erfahrung mit der Führung von Karteien und Listen. Im Büro des
„Außenkommandos der Sicherheitspolizei und des SD" in Rom war der
Dreißigjährige innerhalb der Abteilung IV (Gestapo) wohl für die
Haftkartei (Sachgebiet IV 6) und für Sonderaufgaben (Sachgebiet IV 5)
zuständig. Nach einer kaufmännischen Lehre und Anstellungen als
Hotelsekretär in Grandhotels in Rapallo und London hatte Priebke nach
seinem Eintritt in die Geheime Staatspolizei und in die SS 1937 eine
kriminalpolizeiliche Ausbildung absolviert. Es lag nahe, daß er nun, da
das gesamte „Außenkommando" zur Durchführung der Massenexekution
verpflichtet worden war, die Häftlingsliste verwaltete und den
„ordnungsgemäßen" Ablauf kontrollierte. Drinnen in den Höhlen überwachte
zumeist der Leiter der Abteilungen IV (Gestapo) und V (Kripo), der
36jährige SS-Hauptsturmführer und Kriminalkommissar Carl Schütz, die
Erschießungen.
Es war der Leiter des Außenkommandos, SS-Obersturmbannführer Herbert
Kappler, der allen SS-Angehörigen seiner Dienststelle an jenem 24. März
den Befehl zu den Erschießungen, die den Anschein von Exekutionen erhalten
sollten, erteilt hatte. Nicht alle Angehörigen der Sicherheitspolizei in
Rom hatten Erfahrungen in der Exekution von Gefangenen, selbst für einige
der Gestapo-Angehörigen war es die erste eigenhändige Tötung eines
Menschen - möglicherweise auch für Kappler und für Priebke. Kappler hielt
seinen Männern eine Ansprache, in der er für den Fall einer Weigerung mit
der SS-Gerichtsbarkeit gedroht haben soll. Aus Führungsgründen sollten die
dreizehn SS-Offiziere bei den Erschießungen den Anfang machen. Ein
einziger davon weigerte sich anfänglich, wurde dann aber von Kappler
überredet. 67Mal wiederholte sich der Turnus der Exekutionskommandos, bis
335 Gefangene zu Tode gebracht worden waren. Fünf davon hatten nicht auf
Priebkes Liste gestanden, weil sie von der italienischen Polizei, die
fünfzig „Todeskandidaten" gestellt hatte, irrtümlich ausgeliefert worden
waren. Als die Männer um acht Uhr abends ihren Platz an Pioniere
übergaben, die die Tuffsteinhöhlen sprengen sollten, um den Schauplatz der
Tat und die Leichen zu verbergen, hatte fast jeder der SS-Offiziere zwei,
jeder der SS-Unteroffiziere vermutlich sechs Menschen getötet. Kappler
hatte seinen Auftrag auf die Minute genau erfüllt.
Lutz Klinkhammer, Süddeutsche Zeitung
v. 28.08.1996
KAPPLER, Herbert (1907-1978), ab 1944
Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in ROM. Als er 1939 nach Rom
geschickt wurde, war Kappler SS-Obersturmbannführer. Als Chef des SD in
Rom arbeitete er eng mit der italienischen faschistischen Polizei
zusammen. Nachdem die Deutschen am 8. September 1943 die Kontrolle über
Rom übernommen hatten, wuchs Kapplers Einfluß. Er unterstützte die
Vorbereitungen zur Befreiung von Benito Mussolini durch ein SS-Kommando.
Er plante die Deportation von 10000 Juden aus Rom. Die »Aktion« begann in
der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1943: 1259 Juden wurden
festgenommen. Am 18. Oktober wurden 1007 nach Auschwitz deportiert; nur
etwa zehn überlebten.
Am 23. März 1944 töteten italienische Partisanen auf der Via Rasella in
Rom 33 Angehörige eines deutschen Polizeiregiments mit einer Bombe. Hitler
selbst befahl, für jeden getöteten Deutschen zehn Italiener umzubringen.
Kappler war, zusammen mit Pietro Caruso, dem Chef der italienischen
Polizei, für die Auswahl der Opfer verantwortlich. Auf der Straße
Festgenommene, politische Gefangene und Juden wurden zu den Ardeatinischen
Höhlen im Süden Roms gebracht, in kleinen Gruppen mit Genickschuß getötet
und vergraben; anschließend wurden die Eingänge mit Sprengladungen
verschüttet. Insgesamt wurden 335 Italiener in den Ardeatinischen Höhlen
getötet, darunter 78 Juden.
Nach dem Krieg nahmen die Engländer Kappler fest und lieferten ihn 1947 an
die italienischen Behörden aus. Er wurde vor ein italienisches
Militärgericht gestellt und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. 1977 kam
er in ein Krankenhaus in Rom; von dort gelang es ihm zu fliehen. Er starb
ein Jahr später in seinem Haus in Deutschland.
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