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10.05.1940. Überfall auf Luxemburg, Belgien und die Niederlande

 

Protestnote der belgischen Regierung vom 10. Mai 1940

Obwohl Deutschland keine Kriegserklärung abgegeben hat, hat die deutsche Armee soeben die belgische Grenze überschritten und die belgische Armee mit beträchtlichen Streitkräften angegriffen. Alle Tatsachen und alle im Besitz der belgischen Regierung befindlichen Dokumente beweisen, daß der Angriff vorbedacht erfolgt ist.
Keinerlei Beschwerden wurden der belgischen Regierung vor diesem Angriffsakt vorgebracht. Überdies deutete nichts in den Beziehungen zwischen beiden Ländern, die meistens gut waren, auf einen möglicherweise bevorstehenden Konflikt hin. Die belgische Regierung protestiert gegen diesen Gewaltakt. Er zeigt, daß Belgien zum zweiten Male innerhalb von 25 Jahren das Opfer eines deutschen Angriffs geworden ist. Die deutsche Regierung hat in ihrer Erklärung vom 13. Oktober 1937 feierlich ihre Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, unter keinen Umständen die Unverletzlichkeit und Integrität Belgiens zu beeinträchtigen und erklärt, daß »sie das belgische Gebiet respektieren wird, ausgenommen selbstverständlich den Fall, daß Belgien an einer gegen Deutschland gerichteten militärischen Aktion in einem bewaffneten Konflikt mitwirkt, in den Deutschland verwickelt ist«; sie erklärte ferner, sie sei bereit, Belgien Beistand zu leisten, wenn es einem Angriff oder einer Invasion ausgesetzt sein sollte. Am 26. August [1939] erneuerte die deutsche Regierung feierlich in einer freiwillig gegebenen Erklärung ihr Versprechen vom 13. Oktober 1937. Seit der Erklärung von 1937 hat Deutschland bei vielen Gelegenheiten die Korrektheit der von Belgien eingenommenen Haltung anerkannt. Die öffentliche Meinung erkennt einmütig an, daß die belgische Regierung alles, was in ihrer Macht liegt, getan hat, um die Geißel des Krieges abzuwenden, die Europa bedrohte. Am Vorabend des europäischen Krieges unternahm der König der Belgier in Verbindung mit den Häuptern anderer Staaten und insbesondere Ihrer Majestät der Königin der Niederlande Schritte, um die Gefahr abzuwenden. Es genügt an den Appell zu erinnern, den Brüssel am 23. August 1939 für die Staatsoberhäupter der Oslo-Gruppe erhoben hat, und an das Vermittlungsangebot vom 29. desselben Monats. Ein weiteres Angebot ihrer guten Dienste machten die Königin der Niederlande und der König der Belgier am 7. November in der Absicht, die Feststellung zu erleichtern, unter welchen Voraussetzungen ein Übereinkommen erreicht werden könnte. Während des Konflikts liat Belgien stets peinlich genau strenge Neutralität gewahrt. Es wurde plötzlich in der Dämmerung überfallen. Der Angriff wurde vollendet, als die Regierung die Garantiemächte anrief. So wie Deutschland im August 1914 die belgische Neutralität verletzte, die es nach den Verträgen vom 19. April 1839 garantiert hatte, so hat es heute Belgien im Widerspruch zu dem im Jahre 1937 feierlich abgegebenen und 1939 erneuerten Versprechen angegriffen, über dessen Gültigkeit kein Zweifel besteht. Wie 1914 wird eine in sich selbst nicht gerechtfertigte Angriffshandlung gegen einen neutralen Staat verschlimmert durch die Verletzung der eingegangenen Verpflichtungen. Dieser Gewaltakt wird das Weltgewissen tief beeindrucken. Das Deutsche Reich wird vor der Geschichte verantwortlich sein für die Leiden, die dieser Gewaltakt der belgischen Bevölkerung auferlegen wird. Belgien hat niemals Knechtschaft hingenommen. Es wird die Feuerprobe mutig bestehen. Die belgische Armee wird den belgischen Boden mit allen Kräften und mit Hilfe der Garantiemächte Belgiens verteidigen, die nicht versäumen werden, ihre Versprechen zu halten.

aus:
Walter Hofer
Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, 1957