Dr. August Becker an SS-Obersturmbannführer Rauff über den Einsatz der
Gaswagen
Kiew, 16.5.42 Geheime Reichssache!
Feldpostnummer 32 704 B. Nr.40/42
An SS-Obersturmbannführer Rauff in Berlin
Prinz-Albrecht-Str. 8
Die Überholung der Wagen bei der Gruppe D und C ist beendet. Während die
Wagen der ersten Serie auch bei nicht allzu schlechter Wetterlage
eingesetzt werden können, liegen die Wagen der zweiten Serie (Saurer) bei
Regenwetter vollkommen fest. Wenn es z. B. nur eine halbe Stunde geregnet
hat, kann der Wagen nicht eingesetzt werden, weil er glatt wegrutscht.
Benutzbar ist er nur bei ganz trockenem Wetter. Es tritt nun die Frage
auf, ob man den Wagen nur am Orte der Exekution im Stand benutzen kann.
Erstens muß der Wagen an diesen Ort gebracht werden, was nur bei guter
Wetterlage möglich ist. Der Ort der Exekution befindet sich aber meistens
10-15km abseits der Verkehrswege und ist durch seine Lage schon schwer
zugänglich, bei feuchtem oder nassem Wetter überhaupt nicht. Fährt oder
führt man die zu Exekutierenden an diesen Ort, so merken sie sofort was
los ist und werden unruhig, was nach Möglichkeit vermieden werden soll. Es
bleibt nur der eine Weg übrig, sie am Sammelorte einzuladen und dann
hinauszufahren.
Die Wagen der Gruppe D habe ich als Wohnwagen tarnen lassen, indem ich an
den kleinen Wagen auf jeder Seite einen, an den großen Wagen auf jeder
Seite zwei Fensterläden anbringen ließ, wie man sie oft an den
Bauernhäusern auf dem Lande sieht. Die Wagen waren so bekannt geworden,
daß nicht nur die Behörden, sondern auch die Zivilbevölkerung den Wagen
als »Todeswagen« bezeichneten, sobald eines dieser Fahrzeuge auftauchte.
Nach meiner Meinung kann er auch getarnt nicht auf die Dauer verheimlicht
werden.
Der Saurerwagen, den ich von Simferopol nach Taganrog überführte, hatte
unterwegs Bremsschaden. Beim S. K. in Mariupol wurde festgestellt, daß die
Manchette der kombinierten Öl-Luftdruckbremse an mehreren Stellen
gebrochen war. Durch Überredung und Bestechung beim H. K. P. gelang es
eine Form drehen zu lassen, nach der zwei Manchetten gegossen wurden. Als
ich einige Tage später nach Stalino und Gorlowka kam, beklagten sich die
Fahrer der Wagen über denselben Schaden. Nach Rücksprache mit den
Kommandeuren dieser Kommandos begab ich mich nochmals nach Mariupol, um
weitere Manchetten auch für diese Wagen anfertigen zu lassen. Auf
Vereinbarung werden für jeden dieser Wagen zwei Manchetten gegossen, sechs
Manchetten bleiben als Reserve in Mariupol für die Gruppe D und sechs
Manchetten werden an SS-Untersturmführer Ernst für die Wagen der Gruppe C
nach Kiew gesandt. Für die Gruppen B und A konnten die Manchetten von
Berlin aus beschafft werden, weil der Transport von Mariupol nach dem
Norden zu umständlich ist und zu lange dauern würde. Kleinere Schäden an
den Wagen werden von Fachleuten der Kommandos bzw. der Gruppen in eigener
Werkstatt ausgeführt.
Durch das unebene Gelände und die kaum zu beschreibenden Wege- und
Straßenverhältnisse lockern sich im Laufe der Zeit die Abdichtungen und
Nietstellen. Ich wurde gefragt, ob in solchen Fällen der Wagen zur
Reparatur nach Berlin überfuhrt werden soll. Eine Überführung nach Berlin
käme viel zu teuer und würde zu viel Betriebsstoff erfordern. Um diese
Ausgaben zu sparen, gab ich die Anordnung, kleinere undichte Stellen
selbst zu löten, und wenn das nicht mehr zu machen wäre, sofort Berlin
durch Funk zu benachrichtigen, daß der Wagen [...] ausgefallen sei.
Außerdem ordnete ich an, bei den Vergasungen alle Männer vom Wagen
möglichst fernzuhalten, damit sie durch evtl. ausströmende Gase
gesundheitlich nicht geschädigt werden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich
auf folgendes aufmerksam machen: Verschiedene Kommandos lassen nach der
Vergasung durch die eigenen Männer ausladen. Die Kommandeure der
betreffenden S. K. habe ich darauf aufmerksam gemacht, welch ungeheure
seelische und gesundheitliche Schäden diese Arbeit auf die Männer, wenn
auch nicht sofort, so doch später haben kann. Die Männer beklagten sich
bei mir über Kopfschmerzen, die nach jeder Ausladung auftreten. Trotzdem
will man von dieser Anordnung nicht abgehen, weil man befürchtet, daß die
für die Arbeit herangezogenen Häftlinge einen günstigen Augenblick zur
Flucht benutzen könnten. Um die Männer vor diesen Schäden zu bewahren,
bitte ich, dementsprechende Anordnungen herauszugeben. Die Vergasung wird
durchweg nicht richtig vorgenommen. Um die Aktion möglichst schnell zu
beenden, geben die Fahrer durchweg Vollgas. Durch diese Maßnahme erleiden
die zu Exekutierenden den Erstickungstod und nicht, wie vorgesehen, den
Einschläferungstod. Meine Anleitungen haben nun ergeben, daß bei richtiger
Einstellung der Hebel der Tod schneller eintritt und die Häftlinge
friedlich einschlafen. Verzerrte Gesichter und Ausscheidungen, wie sie
seither gesehen wurden, konnten nicht mehr bemerkt werden. Im Laufe des
heutigen Tages erfolgt meine Weiterreise nach der Gruppe B, wo mich
weitere Nachrichten erreichen können.
gez. Dr. Becker,
SS-Untersturmführer
aus:
Ernst Klee (Hrsg.), Dokumente zur "Euthanasie" |