Die Deutschen und ihre Helfer handelten bei der Auflösung der Ghettos
nicht nur vorsätzlich brutal - insbesondere was ihre routinemäßigen
Vorgehensweisen betrifft -, sondern sie taten den Juden überrfüssige
Gewalt an und quälten sie in unnötigem Maße. Manchmal waren die
Handlanger, die die Juden leiden ließen, osteuropäische Hiwis der
Deutschen, so etwa bei den Deportationen von Miedzyrzecz, als die Hiwis,
offensichtlich durch die Gewalttätigkeit der Deutschen beeinflußt, die
Juden mit Peitschen prügelten. Jede öffentlich begangene Brutalität der
Hiwis an den Juden war erlaubt, wenn nicht sogar von den Deutschen
gefördert. Sie hatten die Hiwis völlig unter Kontrolle, so daß auch diese
Exzesse mitgezählt werden sollten, bewertet man die Behandlung der Juden
durch die Deutschen. Die Ereignisse auf dem Marktplatz während der
letzten großen Deportation aus Miedzyrzecz sind dafür beispielhaft: Die
Deutschen zwangen die Juden, auf dem Boden zu sitzen oder eng
aneinandergekauert da zu hocken. Das folgende Photo zeigt eine ähnliche
Szene, aufgenommen während einer anderen Deportation aus Miedzyrzecz.
Männer des Polizeibataillons 101 bewachen
am 26. Mai 1943 Juden aus Miedzyrzecz, um sie anschließend nach
Majdanek zu deportieren. Dort brachten Angehörige des
Polizeibataillons 101 und andere sie im November 1943 im Rahmen der
»Operation Erntefest« um.
Die Juden beteten
und weinten und verursachten daher einen ziemlichen Lärm. Das störte ihre
deutschen Herren: »Zwischendurch schlugen die Hiwis mit Gewehrkolben auf
die Menschen ein, damit Ruhe herrsche. Die SD-Leute hatten geflochtene
Peitschen, von der Art, wie Reitpeitschen sind. Sie gingen durch die
Reihen der am Boden sitzenden Menschen und schlugen manchmal mit Wucht
zu.« Die Männer des Polizeibataillons 101 ließen
sich von ihren osteuropäischen Helfern nicht übertreffen. Obwohl sie die
Juden in Miedzyrzecz auf so überflüssige und willkürliche Weise
erniedrigten und quälten, werden diese Taten in ihren Zeugenaussagen nicht
erwähnt. Die Darstellungen der überlebenden Opfer ergeben dagegen ein
anderes, genaueres und aufschlußreicheres Bild. Die Überlebenden stimmen
überein, daß die Deutschen tatsächlich unglaublich brutal waren, daß ihre
Grausamkeit an diesem Tag böswillig war und zeitweise in Sadismus
umschlug. Auf dem Marktplatz, wo sie sich stundenlang niederlassen mußten,
wurden die Juden »verspottet« und »getreten«. Einige der Deutschen
veranstalteten ein »Spiel, indem sie mit Äpfeln warfen; wer von einem
Apfel getroffen wurde, wurde ermordet«. Dieses »Vergnügen« wurde am
Bahnhof fortgesetzt, diesmal mit leeren Schnapsflaschen. »Über die Köpfe
der Juden hinweg wurden Flaschen geworfen, wer immer von einer Flasche
getroffen wurde, wurde aus der Menge herausgezerrt und unter stürmischem
Gelächter mörderisch verprügelt.« Anschließend luden sie die Toten
zusammen mit den Lebenden in Güterwaggons, die nach Treblinka fahren
sollten.
aus:
Daniel Jonah Goldhagen,
Hitlers willige Vollstrecker, Ganz gewöhnliche Deutsche
und der Holocaust, 1998, S. 304-307 |