In Minsk trafen Tausende deutscher Juden ein. Sie waren seltsam gekleidet.
Alle trugen Regenmäntel mit Kapuzen, die wie Fischhaut aussahen, in rosa,
blau und himmelblau und rechts auf der Brust einen sechseckigen Stern. Sie
sprachen nur deutsch. Die Gestapo verjagte die Bewohner der
Republikanskaja-, Obuwnaja-, Suchaja- und Opanskaja-Straße und brachte
dort die Neuankömmlinge unter. Sie setzte Pfähle und zäunte diesen Bezirk
mit Stacheldraht ein.
Die Leute gingen an den Stacheldraht, durch den die deutschen Juden von
ihnen getrennt waren. Die Neuankömmlinge gaben bereitwillig Auskunft. Fs
waren, wie sich herausstellte, Juden aus Hamburg*, Berlin und Frankfurt.
Insgesamt kamen in der Zeit, in der das Minsker Ghetto existierte, etwa
19000 ** hierher. Man hatte ihnen all ihr Eigentum genommen und erklärt,
daß sie nach Amerika gebracht werden würden. In Wirklichkeit waren sie im
Minsker Ghetto hinter Stacheldraht gelandet. Sie baten um Brot, denn sie
glaubten, daß sich die russischen Juden frei bewegen und überall
Lebensmittel einkaufen könnten. Die Gestapo-Leute verschafften den
deutschen Juden «Arbeit». Jede Nacht kamen sie ins Ghetto und ermordeten
70 bis 80 deutsche Juden. Sie zwangen die Deutschen, die Leichen in
Kinderwagen zum Friedhof zu bringen. Dort waren bereits Gruben
vorbereitet, für jeweils 30 Ermordete. War eine Grube mit Leichen gefüllt,
wurde sie zugeschüttet.
20. November 1941. Noch vor Tagesanbruch kamen die Deutschen und
Polizisten ins Ghetto. Diesmal waren die Samkowaja-, die Podsamkowaja-,
die Seljonaja-, die Sanitarnaja- und andere Straßen ihr Ziel. Sie jagten
die Leute wiederum aus ihren Wohnungen, formierten sie zu Kolonnen und
trieben sie nach Tutschinka, zu den Gräbern. Neben den Gräbern war Kalk
aufgehäuft. Die Menschen wurden lebend in die Gruben gestoßen, dort
erschossen und verbrannt.
Unter denen, die am 20. November ergriffen worden waren, befanden sich
viele gute Facharbeiter, die von den Deutschen geschätzt wurden.
Deshalb war zum Beispiel ein Offizier zum Sammelplatz gefahren, hatte dort
aber keinen der Ghettobewohner mehr vorgefunden. Er erkundigte sich, wohin
sie gebracht worden seien, und begab sich zu dem Feld außerhalb der Stadt,
wo sie umgebracht wurden. Es stellte sich heraus, daß seine Arbeiter, bis
auf einige Ausnahmen, bereits tot waren. Er konnte durchsetzen, daß die
wenigen noch lebenden Arbeiter, die er erkannt hatte, nicht erschossen
wurden. Einer von ihnen war der Kürschner Alperowitsch, ein anderer der
Frisör Lewin, der die Offiziere täglich rasierte. Auf dem Feld befanden
sich auch die Frau und die Tochter des Frisörs. Der Chef des
Exekutionskommandos entließ jedoch nur den Frisör und Alperowitsch. Um den
Frisör zu demütigen, erlaubte er ihm schließlich, entweder die Frau oder
die Tochter mitzunehmen. Lewin entschied sich für die Tochter. Der
Offizier schärfte den beiden ein, niemandem zu erzählen, was sie gesehen
und erlebt hatten. Man brachte sie in die Fabrik zurück, sie waren weiß
wie die Wand und brachten keinen Ton heraus. Alperowitsch war danach lange
Zeit krank.
Am 20. November sind 5000 Juden umgekommen.*** Die Leute flüchteten sich
in speziell hergerichtete Keller, in Gruben und getarnte Zimmer, die
«Malina» genannt wurden; doch auch diese «Maliny» retteten sie nicht: Zu
unverhofft erfolgten die Überfälle der Hitlerleute. Die Deutschen
rechtfertigten das Pogrom vom 20. November damit, daß am 7.November «der
Plan nicht erfüllt worden sei», d.h. eine geringere Anzahl von Juden
liquidiert worden war, als es die Obrigkeit gefordert hatte.
* Vgl. dazu: Rosenberg, Heinz, Jahre des Schreckens ...und ich blieb
übrig, daß ich Dir's ansage. Göttingen, Steidl Verlag 1985.
** Von November 1941 bis Oktober 1942 wurden aus Deutschland mehr als
35000 Juden nach Minsk deportiert. Ein Teil von ihnen kam ins Minsker
Ghetto, die anderen wurden sofort nach Maly Trostjanez, das zehn Kilometer
von Minsk entfernt liegt, gebracht und dort ermordet.
*** Am 20. November 1941 kamen in Tutschinka etwa 7000 Juden um.
aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994
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