Schreiben des Gebietskommissars von Sluzk,
Heinrich Carl, an den Generalkommissar von Weißrußland in Minsk, Wilhelm
Kube, in dem er sich über das brutale Vorgehen des 11. Polizeibataillons
gegen die Sluzker Juden am 27. und 28. Oktober 1941 beschwert (Auszug)
Abschrift/ T der
Abschrift Der Gebietskommissar Sluzk, am 30. Oktober 1941 Sluzk
Geheim! An den Herrn Generalkommissar in Minsk.
Betr.
Judenaktion.
Unter Bezugnahme auf die am 27.Oktober 1941 erfolgte
fernmündliche Meldung teile ich Ihnen nunmehr schriftlich folgendes mit:
Am 27.10. morgens gegen 8 Uhr erschien ein Oberleutnant des
Polizeibataillons Nr. 11 aus Kauen (Litauen), der sich als Adjutant des
Bataillonskommandeurs der Sicherheitspolizei vorstellte. Der Oberleutnant
erklärte, daß das Polizeibataillon den Auftrag erhalten hätte, hier in der
Stadt Sluzk in zwei Tagen die Liquidierung sämtlicher Juden vorzunehmen.
Der Bataillonskommandeur sei mit seinem Bataillon in Stärke von 4
Kompanien, davon 2 Kompanien litauische Partisanen, im Anrollen und die
Aktion müsse sofort beginnen. Hierauf gab ich dem Oberleutnant zur
Antwort, daß ich auf alle Fälle die Aktion zunächst mit dem Kommandeur
besprechen müßte. Etwa eine halbe Stunde später traf das Polizeibataillon
in Sluzk ein. Wunschgemäß hat dann auch die Aussprache mit dem
Bataillonskommandeur sofort nach Eintreffen stattgefunden. Ich
erklärte zunächst dem Kommandeur, daß es nicht gut möglich sei, ohne
vorherige Vorbereitung die Aktion durchzuführen, da alle auf Arbeit
geschickt seien und es ein furchtbares Durcheinander geben würde. Es wäre
zum mindesten seine Pflicht gewesen, einen Tag vorher Bescheid zu geben.
Ich bat dann darum, die Aktion um einen Tag zu verschieben. Er lehnte
dieses jedoch ab, mit dem Bemerken, daß er überall in allen Städten die
Aktion durchzuführen habe, und für Sluzk nur zwei Tage zur Verfügung
stünden. In diesen beiden Tagen müßte die Stadt Sluzk unbedingt frei von
Juden sein. Ich hob sofort schärfsten Protest dagegen, indem ich
hervorhob, daß eine Liquidierung der Juden nicht willkürlich erfolgen
dürfe. Ein großer Teil der noch in der Stadt vorhandenen Juden bestehe aus
Handwerkern, resp. Handwerkerfamilien. Diese jüdischen Handwerker könnten
aber einfach nicht entbehrt werden, da sie zur Aufrechterhaltung der
Wirtschaft unentbehrlich seien. Ich wies weiter darauf hin, daß
weißruthenische Handwerker sozusagen überhaupt nicht vorhanden wären, daß
also sämtliche lebenswichtigen Betriebe mit einem Schlage stillgelegt
werden müßten, wenn alle Juden liquidiert würden. Am Schluß unserer
Aussprache erwähnte ich noch, daß alle Handwerker und Spezialisten, soweit
sie unentbehrlich seien, Ausweise in den Händen hätten, und daß diese
nicht aus den Betrieben herauszuholen seien. Es wurde weiterhin
vereinbart, daß alle noch in der Stadt vorhandenen Juden zwecks
Sortierung, vor allem wegen der Handwerkerfamilien, die ich ebenfalls
nicht liquidieren lassen wollte, zunächst in das Getto gebracht werden
sollten. Mit der Sortierung sollten zwei meiner Beamten beauftragt werden.
Der Kommandeur widersprach keineswegs meine Auffassung, so daß ich im
besten Glaubens sein mußte, daß die Aktion auch so durchgeführt würde.
Einige Stunden
nach Beginn der Aktion stellten sich aber schon die größten
Schwierigkeiten heraus. Ich mußte feststellen, daß der Kommandeur sich
überhaupt nicht an unsere Abmachungen gehalten hatte. Sämtliche Juden ohne
Ausnahme wurden trotz der Vereinbarung aus den Betrieben und Werkstätten
herausgeholt und abtransportiert. Ein Teil der Juden wurde allerdings über
das Getto geleitet, wo noch viele von mir erfaßt und aussortiert worden
sind, während aber ein großer Teil direkt auf Lastwagen verladen und
außerhalb der Stadt ohne weiteres liquidiert worden ist. Kurz nach Mittag
kamen bereits von allen Seiten Klagen darüber, daß die Betriebe nicht mehr
laufen könnten, weil man sämtliche jüdischen Handwerker entfernt hatte..Da
der Kommandeur nach Baranowitschi weitergefahren war, habe ich mich nach
langem Suchen mit dem stellvertretenden Kommandeur, einem Hauptmann, in
Verbindung gesetzt, mit der Forderung, die Aktion sofort einzustellen, da
nicht nach meiner Anweisung gehandelt worden sei und der bis jetzt
angerichtete Schaden in wirtschaftlicher Hinsicht überhaupt nicht wieder
gutzumachen sei. Der Hauptmann war sehr erstaunt über die von mir
vertretene Ansicht und erklärte, daß er vom Kommandeur den Auftrag
bekommen hätte, die ganze Stadt von Juden ohne Ausnahme freizumachen, wie
sie das auch in anderen Städten getan hätten. Diese Säuberung müßte aus
politischen Gründen erfolgen, und wirtschaftliche Gründe hätten noch
nirgends eine Rolle gespielt. Auf mein energisches Eingreifen hat er dann
doch gegen Abend die Aktion eingestellt.
Was die Durchführung der Aktion anbelangt, muß ich zu
meinem tiefsten Bedauern hervorheben, daß letztere an Sadismus
grenzte. Die Stadt selbst bot während der Aktion ein erschreckendes Bild.
Mit einer unbeschreiblichen Brutalität sowohl von Seiten der deutschen
Polizeibeamten, wie insbesondere von den litauischen Partisanen, wurde das jüdische Volk, darunter aber
auch Weißruthenen aus den Wohnungen herausgeholt und zusammengetrieben.
Überall in der Stadt knallte es, und in den einzelnen Straßen häuften sich
die Leichen der erschossenen Juden. Die Weißruthenen hatten größte Not, um sich
aus der Umklammerung zu befreien. Abgesehen davon, daß das jüdische Volk,
darunter auch die Handwerker, furchtbar roh vor den Augen des
weißruthenischen Volkes brutal mißhandelt worden ist, hat man das
weißruthenische Volk ebenfalls mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben
bearbeitet. Von einer Judenaktion konnte schon keine Rede mehr sein,
vielmehr sah es nach einer Revolution aus. Ich selbst bin den ganzen Tag
ununterbrochen mit allen meinen Beamten dazwischen gewesen, um noch zu
retten, was zu retten war. Mehrfach habe ich buchstäblich mit gezogenem
Revolver die deutschen Polizeibeamten wie auch die litauischen Partisanen
aus den Betrieben herausdrängen müssen. Auch meine eigene Gendarmerie war
mit dem gleichen Auftrag eingesetzt, mußte aber vielfach wegen der wilden
Schießerei die Straßen verlassen, um nicht selbst erschossen zu werden.
Das ganze Bild war überhaupt mehr als grauenvoll. Nachmittags standen in
den Straßen herrenlos eine größere Anzahl Panjewagen mit Pferden herum, so
daß ich die Stadtverwaltung beauftragen mußte, sich sofort um die
Fahrzeuge zu kümmern. Wie nachher festgestellt wurde, handelte es sich um
jüdische Fahrzeuge, die von der Wehrmacht den Auftrag hatten, Munition zu
fahren. Man hatte sie einfach von den Wagen heruntergeholt und abgeführt,
ohne sich auch nur um die Fahrzeuge zu kümmern.
Bei der Erschießung
vor der Stadt bin ich nicht zugegen gewesen. Über die Brutalität kann ich
daher nichts sagen. Es dürfte aber auch genügen, wenn ich hervorhebe, daß
Erschossene längere Zeit nach Zuwerfen der Gräber sich wieder
herausgearbeitet haben. ...
Abschließend sehe ich mich gezwungen,
darauf hinzuweisen, daß von dem Polizeibataillon während der Aktion in
unerhörter Weise geplündert worden ist, und zwar nicht nur in
jüdischen Häusern, sondern genauso in den Häusern der Weißruthenen. Alles
Brauchbare, wie Stiefel, Leder, Stoffe, Gold und sonstige Wertsachen haben
sie mitgenommen. Nach Angaben von Wehrmachtsangehörigen wurden den Juden
öffentlich auf der Straße die Uhren von den Armen gerissen, die Ringe in
brutalster Weise von den Fingern gezogen. Ein Oberzahlmeister erstattet
die Meldung, wonach ein jüdisches Mädchen von der Polizei aufgefordert
worden sei, sofort 5000 Rubel zu holen, dann würde ihr Vater freigelassen.
Tatsächlich soll dieses Mädchen überall umhergelaufen sein, um das Geld zu
besorgen. Auch innerhalb des Gettos sind die einzelnen Baracken, die
von der Zivilverwaltung vernagelt und mit jüdischem Inventar versehen
waren, von der Polizei aufgebrochen und ausgeraubt worden. Sogar aus der
Kaserne, in der die Einheit untergebracht war, sind für das Lagerfeuer
Fensterrahmen und Türen herausgebrochen. ... In der Nacht vom Dienstag auf
Mittwoch hat das Bataillon in Richtung Baranowitschi die Stadt verlassen.
Offensichtlich war das Volk nur einmal froh darüber, als diese Nachricht
durch die Stadt ging.
Soweit der Bericht. Ich werde demnächst nach
Minsk kommen, um einmal mündlich die Angelegenheit durchzusprechen. Z. Zt.
bin ich nicht in der Lage, die Judenaktion weiter durchzuführen. Es muß
erst einmal wieder Ruhe eintreten. Ich hoffe, die Ruhe so bald wie möglich
wieder herstellen zu können und trotz der Schwierigkeiten auch die
Wirtschaft wieder zu beleben. Nur einen Wunsch bitte ich mir noch zu
erfüllen: »Verschonen Sie mich in Zukunft unbedingt vor diesem
Polizeibataillon!«
gez. Carl
aus: Klee/Dreßen/Rieß "Schöne Zeiten" Judenmord aus der Sicht der
Gaffer, 1988
"Bei einer Säuberungsaktion im Raume Sluzk-Kleck wurden durch
das Res. Pol. Batl. 11: 5900 Juden erschossen"
(siehe
19.11.1941)
"Sluzk Einwohnerzahl vor dem Krieg: 22000
Einwohnerzahl nach dem Krieg: 7000 Besetzt am 26.Juni 1941 Befreit
am 30.Juni 1941 Okkupationszeit: 3 Jahre In dieser Zeit wurden in
der Stadt Sluzk ermordet: 11000 Menschen Nach Deutschland als
Zwangsarbeiter deportiert: 3000 Menschen Zerstört wurden: 80% der
Gebäude
aus: Kohl, Paul
Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944, 1998
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