Am 1. September 1941 wurde die Ausgrenzung der deutschen Juden weiter
verschärft und durch jene regierungsamtliche Verordnung symbolisch
hervorgehoben, die die Juden dazu zwang, in der Öffentlichkeit sichtbar
einen gelben »Davidstern« zu tragen, auf dem in schwarzen Buchstuben das
Wort »Jude« geschrieben .stand. Die Folgen waren augenfällig. Die
öffentliche Kennzeichnung steigerte die Erniedrigung; daß sie sich nun als
auffällige »Zielscheibe" inmitten einer feindseligen Bevölkerung bewegen
mußten, gab den Juden ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Weil deutsche
Passanten sie nun leicht als Juden erkennen konnten, sahen sich vor allem
die jüdischen Kinder in wachsendem Maße verbalen und physischen Angriffen
ausgesetzt. Eine Stuttgarter Jüdin erinnert sich:
»Das Tragen des gelben Sterns, mit dem man uns von 1941 an wie Verbrecher
brandmarkte, war eine Qual. Ich mußte täglich, wenn ich auf die Straße
trat, um Ruhe und Gleichmut kämpfen.«
Die Einführung des gelben Sterns bedeutete, daß alle Deutschen nun all
jene besser identifizieren, überwachen und meiden konnten, die das Stigma
des sozialen Todes trugen. Es kann daher nicht überraschen, daß die
entwürdigende Kennzeichnungspflicht in allen von den Deutschen besetzten
Gebieten in Europa galt.
Gesellschaftliche Ausgrenzung, verbale und physische Gewalt ergänzten und
verstärkten einander. Während der verbale Terror Deutschen wie Juden immer
wieder den vermeintlichen moralischen Abgrund deutlich machte, der
zwischen beiden klaffte, bestätigten und vertieften die Gesetze und
Verordnungen die physische und soziale Kluft. Gemeinsam stempelten sie die
Juden zu sozial Toten, de facto zu Angehörigen einer Aussätzigenkolonie,
gegen die man ungestraft vorgehen konnte. Das Leben der Juden in
Deutschland wurde so unerträglich, schwierig und erniedrigend, daß sie in
Scharen aus dem Land flohen. Im Januar 1933 hatten in Deutschland 525000
Juden gelebt; in den folgenden fünf Jahren emigrierten 130000. Schließlich
mußten 1938 selbst die Juden, die sich bislang an Illusionen geklammert
hatten, erkennen, daß ein Leben in Deutschland für sie nicht länger
möglich war. Das Tempo der Auswanderung nahm zu. 1938 und 1939 emigrierten
weitere 118000 Juden, und zwar in jedes Land, das bereit war, sie
aufzunehmen. Nach Kriegsbeginn konnten weitere 30000 Juden aus Deutschland
fliehen. So gelang es den Deutschen, mehr als die Hälfte der deutschen
Juden zur Auswanderung aus dem Land zu zwingen, das bis dahin ihre
geliebte Heimat gewesen war. Und sie nahmen den Flüchtlingen fast ihre
gesamte Habe.
aus:
Daniel Jonah Goldhagen:
Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust,
1996
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