"Am 7.9.1941 wurde das Sonderkommando Xla durch SS-Sturmbannführer
Gemeiner benachrichtigt, daß durch die Feldgendarmerie ein Russe
festgenommen sei, der zur Arbeitsniederlegung aufgefordert und russische
Arbeiter bedroht habe, wenn sie noch weiter für deutsche Stellen
arbeiteten. Der Herr Oberbefehlshaber habe die Abgabe an das
Sonderkommando befohlen und mitgeteilt, daß er eine exemplarische
Bestrafung - wenn möglich öffentliche Exekution durch den Strang -
wünsche.
Sofortige Nachfrage bei der Feldgendarmerie ergab folgendes: Am 6.9.1941
übergab der Feldwebel Otto Ast vom Armee-Oberkommando -
Oberquartiermeister - der Feldgendarmerie den Russen Wladimir Romanenko
mit dem Hinweis, daß er (Ast) festgestellt habe, daß die Arbeitslust der
bei deutschen Behörden beschäftigten russischen Arbeitskräfte nachgelassen
habe. Seine weiteren Feststellungen seien dahin gegangen, daß er einen
»Kommissar« ermittelt habe, der Arbeiter und Arbeiterinnen im Sinne einer
Arbeitsniederlegung beeinflußt, zum Teil sogar geschlagen habe. Dieser
Kommissar sei Romanenko. Die Feldgendarmerie lieferte R. - nach
Rücksprache mit der hiesigen Dienststelle - vorerst in das
Kriegsgefangenenlager ein, da R. als Kriegsgefangener zu behandeln war.
Am 7.9.1941 nahm das Sonderkommando Xla die weiteren Ermittlungen in der
Angelegenheit auf. Dabei wurde festgestellt, daß die Angaben des
Feldwebels Ast zumindest aufgebauscht waren. Romanenko bewohnt in der
Nikolskaia 34 eine Wohnung, in die seit Ende August 1941 zwei Mädchen
eingezogen sind, die R. um Aufnahme baten. Im Laufe der Zeit mußte R.
feststellen, daß diese Mädchen sehr viel Männerbesuch erhielten. Dabei
kamen auch deutsche Wehrmachtsangehörige, die Wäsche zum Waschen brachten.
Da Romanenko gegen diese Männerbesuche in seiner Wohnung Einwendungen
machte, entspannen sich zwischen ihm und den Mädchen Streitigkeiten, die
einmal zu Tätlichkeiten ausarteten.
Von diesen Mädchen, die als Arbeiterinnen tätig sind, hat Feldwebel Ast
Kenntnis von den Vorgängen erhalten. Er schenkte diesen Angaben kritiklos
Glauben, durchsuchte die Wohnung des R. und nahm ihn schließlich fest. Bei
der Wohnungsdurchsuchung fand Feldwebel Ast sowjetische Offiziersspiegel,
die ihn zu der Behauptung veranlaßten, bei Romanenko handle es sich um
einen Kommissar. Eine Befragung zeigte, daß Feldwebel Ast die Abzeichen
eines Kommissars überhaupt nicht kennt. Die vorgefundenen Kragen sind
Teile einer Uniform eines russischen Kriegsgerichtsanwaltes, der die
Wohnung vor dem Kriege innehatte. Die von Feldwebel Ast gemeldete
Bedrohung von zwei alten Leuten, die in dem Hause Nikolskaia 34 wohnen,
ergab ihre vollkommene Unrichtigkeit. Während der Zeit, als R. die alten
Leute angeblich bedroht haben sollte, befand er sich auf dem Weg zum
Kriegsgefangenenlager. Außerdem geben die alten Leute auf Befragen
lediglich an, daß sie den Romanenko kennen. Davon, daß sie von ihm bedroht
wurden, war ihnen nichts bekannt.
Die Ermittlungen ergaben also ein völlig anderes Bild. Feldwebel Ast, der
im Zivilberuf Justizinspektor ist, scheint aus Neigung oder aus anderen
Gründen kriminalistischen Ambitionen nachzugehen, die ihn verleiten,
Sachverhalte vollständig klären zu wollen, für deren Klärung es ihm an der
nötigen Kritik und dem nötigen sachlichen Abstand zu den Vorgängen
mangelt. Der Erfolg einer derartigen Bemühung zeigt sich im vorliegenden
Fall besonders deutlich:
Die anfangs gemachten Angaben veranlaßten die Dienststellen zu einer
Ermittlungstätigkeit, die in keinem Verhältnis zu dem Erfolg steht. Durch
die Abstellung mehrerer Beamter wurden wesentlich wichtigere Arbeiten
behindert. [...]
Da es sich bei Romanenko um einen Geistesschwachen handelt, der nach
eigener Angabe bereits dreimal in einer Heilanstalt untergebracht war,
wurde er am 9.9.1941 aus erbbiologischen Gründen exekutiert. Die beiden
als Zeuginnen gegen R. aufgetretenen Mädchen wurden ernstlich verwarnt und
entlassen.
gez. Unterschrift.
SS-Obersturmführer"
aus:
Ernst Klee, Willi Dreßen
"Gott mit uns". Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, 1989
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