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10.09.1942. Ermordung der Juden in Jessentuki
Die Kinder weinten, die Wachmannschaften sangen Lieder


Jessentuki

Die Deutschen besetzten Jessentuki am 11. August 1942.. Am 15. August wurde ein Jüdisches Komitee eingesetzt, das die Registrierung der Juden vornahm. Es wurden 307 arbeitsfähige Juden erfaßt; zusammen mit den Kindern und den Alten belief sich die Gesamtzahl der Registrierten auf etwa 2000.
Bei Tagesanbruch hatten sich die Juden am Sitz des Komitees einzufinden. Ihnen wurden körperlich schwere Arbeiten zugewiesen. Die Deutschen verspotteten und schlugen sie. Besonderen Eifer legte der «Verantwortliche für Judenangelegenheiten», Leutnant Pfeifer,* an den Tag. Der rotgesichtige dicke Deutsche kam mit einer Reitpeitsche ins Komitee und regierte mit Schlägen.

Am 7. September wurden die Juden auf Befehl des Kommandanten von Beck angewiesen, in «weniger dicht bewohnte Gebiete» umzusiedeln. Alle Juden sollten sich in der Schule hinter dem Bahndamm einfinden und ihre Sachen (nicht mehr als 30 Kilogramm) mitbringen: vor allem Teller, Löffel und Lebensmittel für drei Tage. Ihnen wurde eine Frist von 48 Stunden eingeräumt.
Der Dozent der Leningrader Universität Herzberg wählte den Freitod, als er von der «Umsiedlung» erfahren und begriffen hatte, was sich dahinter verbarg. Der Professor des Leningrader Pädagogischen Instituts Jefrussi und der Dozent Mitschnik nahmen Gift. Sie wurden jedoch von deutschen Ärzten gerettet, die der Meinung waren, daß Juden entsprechend dem vorgegebenen Reglement umzubringen sind.
In die bereits erwähnte Schule sollten auch die Kranken aus den Krankenhäusern gebracht werden. Am 9. September morgens begannen sich die Juden in der Schule zu sammeln. Viele wurden von Russen begleitet die sich unter Tränen von ihnen verabschiedeten. Das Gebäude wurde umstellt. Die Nacht verbrachten die Todgeweihten in der Schule. Die Kinder weinten. Die Wachmannschaften sangen Lieder. Am 10. September um 6 Uhr morgens wurden die Juden ohne ihre Sachen auf Lkws verladen. Die Fahrzeuge fuhren in Richtung Mineralnyje Wody.
Etwa einen Kilometer vom Glaswerk entfernt befand sich ein ausgedehnter Panzergraben. Die Fahrzeuge hielten direkt neben dem Graben. Die Juden mußten sich entkleiden und wurden in Gaswagen verfrachtet, wo sie erstickten. Wer zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Den Kindern bestrich man die Lippen mit einer giftigen Flüssigkeit. Die Leichen wurden im Graben aufgeschichtet. Wenn ein Graben gefüllt war, streute man Erde darüber und stampfte sie mit Maschinen fest.
Unter den Ermordeten waren viele wissenschaftliche Mitarbeiter und Ärzte: der Dozent Tinger, die Doktoren Lifschiz, Shiwotinskaja, Goldschmidt, Kosniewitsch, Lyssaja Balaban, der Jurist Schaz und der Apotheker Sokolski.
In Jessentuki hatte Doktor Eisenberg gearbeitet. Zu Beginn des Krieges war er zum Leiter eines Feldlazaretts ernannt worden. Nach der Befreiung Jessentukis durch die Rote Armee kehrte Doktor Eisenberg in seine Heimatstadt zurück. Hier erfuhr er, daß die deutschen Bestien seine Frau und seinen zehnjährigen Sohn Sascha umgebracht hatten. Zusammen mit Vertretern der Roten Armee und Arbeitern des Glaswerks errichtete Doktor Eisenberg am Panzergraben eine Gedenktafel.
Dort wurden nicht nur die Juden aus Jessentuki, sondern auch aus Pjatigorsk, Kislowodsk und Shelesnowodsk verscharrt. Hier lagen auch die Leichen von 17 Eisenbahnern und vielen russischen Frauen und Kindern.

Zum Druck vorbereitet von I. Ehrenburg

* Pfeifer, R., war Offizier des SS-«Sonderkommandos» 12 und organisierte die Erschießung von Juden. 1968 machte er im Prozeß von Pjatigorsk u.a. folgende Zeugenaussage: «Am 1. September wurde die Stadt Mineralnyje Wody gesäubert, vom 2.-5. September Jessentuki und Shelesnowodsk, vom 6.- 9.September Pjatigorsk, am 9. September Kislowodsk. Wieviel insgesamt liquidiert wurden, kann ich nicht genau sagen. Ich denke, so 8000 bis 10000. Vielleicht auch 12000.»

aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg (Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994


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