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"Anarchie" und "Punk" schützt vor Antisemitismus nicht
Deutsche linksradikale Normalität unterscheidet sich in den Essentials nicht vom durchschnittlichen Zustand der Gesellschaft. Antisemitismus und Rassismus - um hier nur die wichtigsten Gewaltverhältnisse dieses Landes zu benennen - bestimmen die Gedanken und die Taten aller Deutschbürger, sie sind wesentlicher Bestandteil der deutschen Zumutungen.
Aktuelle Beispiele:
In Frankfurt am Main, in dem Frankfurter Szene-Haus "die Au" - um jetzt auch nur einen Ort zu benennen - spielte in der Nacht vom 19. zum 20.4. 2003 eine "Alt-Anarcho"-Punk-Band zum Tanz in den Adolf auf. Dabei wurde Hitlers Geburtstag nicht nur "vergessen", sondern mit einem zünftigen antisemitischen Angriff begangen.
Nachdem einige Besucher "save Israel" an die Wand gesprüht hatten, wurden sie unter dem Schlagwort "Ich kann diesen Israel-Scheiß nicht mehr sehen!" und unter dem Beifall des anwesenden Mobs durch eine hauseigene Schlägertruppe hinausgeprügelt. Man wollte sich den Spaß nicht verderben lassen, oder treffender, den Spaß am Konzert mit einer Schlägerei erhöhen.
Vor dem "Exzess" (Frankfurt-Bockenheim) wurden Leute, die den Davidstern trugen, angepöbelt; im Laden hängen Plakate mit der Aufschrift: "religiöse Symbole wie der Davidstern sind hier unerwünscht - or eat shit"; Besucher wurden am Eingang von antisemitischen Säcken mit den Worten "Bist du Jude? Hier is´n Jude, den müssen wir einfangen" bedroht (daraufhin wurden sie wenigstens hinausgeworfen); wegen seiner israelsolidarischen Haltung wurde dort jemand zusammengeschlagen.
Auf einer Anti-Nazi-Demo in Hanau wurden Leute, die eine Israel-Flagge trugen, mit Sprüchen angemacht, wie "geht doch nach Israel", "israel=kindermörder" und "da würd' ich ja lieber 'ne deutschland-fahne tragen". Anschließend wurde versucht die Flagge zu verbrennen. Somit konnte auf dieser Demo das makabre Schauspiel beobachtet werden, dass die Nazis unter dem Slogan "Kein Blut für Israöl" marschierten und in der Gegen!demo versucht wurde, eine israelische Fahne zu verbrennen. Da tun sich Abgründe auf.
Auf derselben Demo wurde der Gruppe gedroht, ihnen "beim nächsten mal eine reinzuhauen", was in der "Au" in der Nacht vom 19. auf den 20. April dann mit dem Hinweis, "dort ist der mit der Israel-Fahne", auch praktisch umgesetzt wurde.
Dass sich Antisemiten in Frankfurt, auch in der linken Szene, wie die Fische im Wasser bewegen können, zeigen die Reaktionen der linksradikalen und antideutschen Frankfurter Szene. Statt hier nicht nur eine Kontinuität wahrzunehmen (siehe Beitrag "Exzess" in Fluchschrift Nr.1), sondern auch eine Eskalation, wenn es um den Staat Israel geht, versucht das direkte Umfeld der Schläger den antisemitisch motivierten Angriff schlicht zu leugnen und/oder zu rechtfertigen. Andere stellen sich dumm, nach dem Leitsatz "mein Name ist Hase, ich weiß von nichts, war nicht dabei". Wieder andere wollen "unterschiedliche Standpunkte vermitteln" oder eine Diskussion über linken Antisemitismus anleiern, um die verloren geglaubte Einheit (wieder-) herzustellen.
Eine "Stellungnahme zu den diffamierenden Vorwürfen gegen die Au" von der "AU-Veranstaltungsgruppe" (das sind sozusagen die redenden Bestandteile des antisemitischen Fahrwassers in dem sich die Schläger bewegen), kommt zu dem einfachen, für ihr Klientel aber einleuchtenden Ergebnis, dass es sich bei dem Vorfall (den schließlich ihre Leute gewaltsam beendet haben!) um eine "Provokation" der Verprügelten handele. Worin nun die Provokation bestand, berichten sie nicht. Da von vorneherein klar ist, dass sie auf Seiten der Schläger stehen, kommt es auf eine inhaltliche Bestimmung nur zum Schein an. Und da es sich um ein typisches Szene-Papier handelt, erwartet auch niemand Inhaltliches. Auf die Botschaft kommt es an. Formulierungen wie "eine spezifische Linie von aggressiver Politik", "Propagierung einer äußerst umstrittenen Politik", "eine Gruppe, bekannt für ihre fragwürdige Israelpolitik", "ihre Art von Politik", usw. richten sich an ein Publikum, dessen Unterstützung oder zumindest Tolerierung die Verfasser sich qua linker Herrschaftsverhältnisse schon im voraus gewiss sind. Je unbestimmter sie formulieren, umso interpretierbarer (im Sinne: "soooo haben wir das nicht gesagt!") werden die Aussagen, desto bestimmter bleibt ihnen ihr Platz in der linken Gemeinschaft erhalten. Dort, wo die Aussagen inhaltlich genau werden, genau dort werden sie antisemitisch und antizionistisch.
Die Leute, die auf einem Konzert in der Au "save Israel" an die Wand gesprüht haben, wurden dafür verprügelt. Die VerfasserInnen des Rechtfertigungstextes schreiben, dass es den Verprügelten "nicht allein um einen Einsatz für das Existenzrecht Israels geht (eine Position die wir unterstützen)". In der Tat, denn diese verstehen sich sicherlich nicht als deutsche "Einsatzgruppe" für den israelischen Staat. Diese Formulierung scheint direkt "aus dem Wörterbuch des Unmenschen" (1) zu stammen. Das technisch-militärische und letztlich vernichtende, das dem Begriff anhaftet, kam doch eher in der Prügel"aktion" zum Einsatz.
Und wenn der “Einsatz“ dann noch in einer Formulierung mit dem „Existenzrecht Israels“ steht, dann ist der Vernichtungsgedanke nicht weit.
Einsatz
beliebtes, vielseitig verwendetes Wort - mit dem Pathos der Opferbereitschaft und des Dabeiseins; Flüge der Jagdflieger, Kampfhandlungen eines Truppenteils waren Einsätze; im Einsatz, zum Einsatz gelangt; zum Einsatz bringen, Leistungseinsatz
- Einsatz ist Leistung: Kampfspruch der Deutschen Arbeitsfront 1943
- zum Einsatz kommen: überhöhend für verschiedene Tätigkeiten, z.B. traten Spielgruppen nicht mehr auf, sondern ‘kamen zum Einsatz‘; hatte den Charakter einer befohlenen Tätigkeit
- einsatzbereit, Einsatzbereitschaft = höchstes Lob, implizierte Mut und den enthusiastischen Willen, zu gehorchen und sein Letztes zu geben
(aus: NS-Deutsch. "Selbstverständliche" Begriffe und Schlagwörter aus der Zeit des Nationalsozialismus, 1988)
Der Begriff des "Existenzrechtes" bedeutet nichts anderes, als die links-deutsche Unverfrorenheit über die Existenz oder Nicht-Existenz des jüdischen Staates zu diskutieren und zu befinden - wer spricht von dem Existenzrecht Deutschlands, oder der USA? Diese Staaten gibt es, das versteht sich von selbst. Das Recht auf etwas ist noch nicht die Sache selbst, wer ein Recht auf Brot hat, hat noch lange kein Brot. Wer ein Existenzrecht hat, muss nicht unbedingt existieren. Die Anmaßung, überhaupt eine innerdeutsche "Position" (schon wieder so eine militärische Stellung) zu einem Recht auf Existenz Israels einzunehmen, und die antizionistische Bedeutung verstecken sich hinter abstrakten, scheinbar neutralen Sprach-Ungetümen. Deswegen fühlen sich die Schläger und ihr Umfeld auch von der konkreten und simplen Handlungsaussage: "Rette Israel" provoziert, weil sie diese genau nicht unterstützen können und der antisemitische Konsens ihres linken Kollektivs angegriffen wird.
Die sprachlichen Aufrüstungen und inhaltliche Unbestimmtheit kommen nicht von ungefähr, sie sollen den antisemitischen Reflex verbergen, vor dem Antisemitismusvorwurf schützen.
Damit folgt das Möllemann-Syndrom auf dem Fuß: Kann man denn in diesem Land nicht mehr ehrlich seine Meinung sagen oder wegen der "Israel-Scheiße" nicht mal mehr zuschlagen? Und frei nach dem Motto "Opa war kein Nazi"(2) heißt es: unser Schläger ist kein Antisemit(3), somit sind die "Nest(wand)-beschmutzer" die Provokateure.
Wie bei richtigen Familienfeiern, wenn Onkel Erwin mal wieder zum Ledernackenschlag ausholt, und nach einigen Schnäpschen es einfach nicht ertragen kann, wenn "die Juden mal wieder Oberwasser haben" und wahlweise "die Araber unterdrücken" oder die Deutschen "wegen der Vergangenheit mundtot" machen, wird dann die Unstimmigkeit bei Familientreffen geklärt - in diesem Falle auf Szeneplenen. Und da der Wunsch nach Familienharmonie, Gemeinschaftsgefühl - oder auch Angst vor Verlust - und Aufklärung von Onkel Erwin und seinem Umfeld übermächtig ist, wird genau mit diesem Familiengespräch jene Gruppenloyalität und -identität hergestellt, in der jede und jeder den eigenen Teil an Interpretation und Erzählen der Geschichte beiträgt. Paradoxerweise beweist sich hiermit die Aufklärungsresistenz.
Aktion
(1) das Wort erinnerte an die heroische NS-Frühzeit, betonte das Willensmoment und die straffe Organisation; Aktionen wurden von *Aktionskomitees" geleitet, begannen und endeten zu einem genau festgesetzten Zeitpunkt und erhielten oft Beinamen nach der Person oder den Umständen, die sie veranlaßt hatten
- groß aufgezogene Aktion: positiv für Regierungspropaganda, z.B. vor der Saar-Abstimmung
(2) später wurde der Begriff auch für die *schlagartig angesetzte Inhaftierung oder Deportation von Menschen in den *eingegliederten und besetzten Gebieten gebraucht
(3) geplante, aber überraschend einsetzende Beschlagnahme von Wertsachen und Gebrauchsgegenständen in den besetzten Gebieten, z.B. Pelzmantelaktionen, Möbelaktionen (*M-Aktion); die massenweise *anfallenden Güter wurden den verschiedenen Nutznießern solcher Aktionen wie dem *Winterhilfswerk, der Reichsstelle für Metalle oder dem *SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt peinlich genau aufgelistet übergeben
(4) Massentötung oder organisierter Pogrom, unmittelbar an Ort und Stelle oder, nach Abtransport der zusammengetriebenen Menschen, an entlegeneren Plätzen (Friedhöfen, Waldstücken); in dieser Bedeutung tauchte in den besetzten Ostgebieten das Wort auch im Vokabular und in Liedern der Unterdrückten auf (“akciju“, “akcia“); *Konter~Akcja; “die SS-Standortverwaltung Lublin bittet um Ausfolgung von 50 leeren aus der bekannten Aktion stammenden Koffern
(aus: NS-Deutsch. "Selbstverständliche" Begriffe und Schlagwörter aus der Zeit des Nationalsozialismus, 1988)Und überrrrallem hat man sich in einem deutschen Haus als Gast zu benehmen! Diese Hausordnung gilt für Onkel Erwins Geburtstagsfeier, wie für ein Anarcho-Punk-Konzert - selbst wenn dort eine britische Band aufspielt. Der Familienkonsens gilt: Es kommen nur "Gäste, die wissen worauf die Gastgeber Lust haben", die sich benehmen können. Keine "Provokation" (und was eine ist, bestimmt der Chef), sonst droht - zumindest den Anführern - Lokalverbot. Soviel Punk und Anarchie war noch nie!
Selbst bei denjenigen, die den Überfall in der Au verurteilen (z.B. sinistra!), steht die Einheit der linksradikalen Szene hoch im Kurs(4). Ein antisemitischer Überfall bleibt noch lange kein Grund zum Bruch mit dieser Szene, die für alles gut zu sein scheint, nur nicht für eine Kritik an Deutsch(land) und Deutschtum. Wie soll dies auch anders sein bei Leuten, die nach den Vorfällen im Exzess bedauerten, dass sie jetzt nicht mehr unbehelligt nach vollzogener sinistra!-Sitzung oder -Veranstaltung ein, zwei Bierchen im Exzess schlürfen können, oder die im Zusammenhang mit der Au befürchten "an einem fußballspiel in der au" nicht mehr teilnehmen zu dürfen. Soviel radikale Rücksichtnahme zeugt von einer familiären Verbundenheit, die noch jeden antisemitischen Angriff diskursiv übersteht. Wenn die sinistra! "eine andere, deutlichere Reaktion" für "nötig" findet (wahrscheinlich damit droht, beim nächsten Au-Fußballspiel ein Eigentor zu produzieren, oder im Exzess nur noch 1 Bier zu trinken), kann damit nicht viel mehr gemeint sein, als durch eine innerlinke Palaverrunde den links(nationalen) Konsens wiederherstellen zu wollen. Letzten Endes kommt eine verlogene Verurteilung von "gewaltsamen Reaktionen" (auf einmal so pazifistisch!) dabei heraus, wird linker proletarischer Antisemitismus als Ideologie verharmlost und toleriert. Im Diskurs und "Forum" verflüchtigt sich der menschenfeindliche Angriff zu einem geschwätzigen Diskussionsthema. Sinistra!, die bei uns dafür bekannt sind, den Streit anderer zu organisieren, um sich dann daran zu erfreuen (siehe auch Beitrag zur Stalingrad-Veranstaltung), stellen konsequenterweise ihre Webseiten für jeden (auch antisemitischen) Unsinn über den Angriff in der Au zur Verfügung.
Sie haben die Botschaft der "AU-Veranstaltungsgruppe" verstanden und sind dieser entgegengekommen: da sich das Lokalverbot auf "die drei Provokateure" und "die Verantwortlichen des sinistra!-Forums" beschränkt, bleibt viel Personal für eine sinn- und einheitsstiftende weitere Debattierrunde übrig, um die ganze Geschichte mal wieder ad acta zu legen.
Fluchschrift (Frankfurt am Main, 25.05.2003)
1) Sternberger/Storz/Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen
2) Welzer u.a., „Opa war kein Nazi“. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis
3) Das im sinistra! -Forum nahe gelegte Alkoholproblem des Schlägers erinnert an die Entschuldungs-Logik der deutschen Rechtsfindung: Promillezahl = Kontrollverlust = rassistische und antisemitische Aggression.
4) In den Erklärungen von Sinistra strotzt es nur so von Sätzen wie:
"durch diese sich immer offener artikulierende aggressivität, die nicht oder kaum versteckte freude darüber, dass es mal wieder die richtigen getroffen hat und die vermehrte androhung von "nachschlägen" ist eine neue qualität erreicht. selbst dieser erneute, brutale übergriff (massgeblich ausgeführt durch denselben typen, der schon vor einem jahr im ex zugeschlagen hatte), führt offenbar nicht zu der einsicht, dass es so nicht mehr weitergehen kann."
"wenn die linke den anspruch auf selbstverwaltung und nichtstaatliche konfliktlösung aufrechterhalten will wäre aber jetzt - nachdem die innerlinke konfliktlösungsstrategien des letzten jahres für alle offensichtlich auf ganzer linie gescheitert sind - eine andere, deutlichere reaktion nötig."
"dass diese reaktion nicht im werfen von steinen, flaschen oder sonstigen militanten attacken bestehen kann, versteht sich für uns von selbst. die sinistra! verurteilt daher den anschlag vom mittwoch auf die "au", von wem auch immer er verübt wurde."
Hier kommt alles vor, nur nicht das Entscheidende: es handelte sich um einen antisemitisch motivierten Angriff.