Zur gleichen Zeit jedoch wurden Kriegsgefangene, die die Deutschen vom
Kahlen Berg auf das Feld neben dem Flugplatz getrieben hatten, gezwungen,
dort, wo die Brodskaja-Straße endet und der gepflasterte Weg ins Dorf
Romanowka beginnt, fünf tiefe Gruben auszuheben.
Am 4. September, eine Woche nach Einrichtung des Ghettos, forderten die
Deutschen und die als Polizisten eingesetzten Verräter 1500 junge Leute
auf, sich zu landwirtschaftlichen Arbeiten zu verdingen. Die jungen Leute
schnürten ihr Bündel, nahmen ein Stück Brot, verabschiedeten sich von
ihren Eltern und machten sich auf den Weg. Sie wurden alle noch am
gleichen Tag zwischen dem Kahlen Berg und dem Dorf Chashino erschossen.
Die Henker hatten die Hinrichtung gekonnt vorbereitet, so geschickt, daß
bis zur letzten Minute niemand von den Todgeweihten etwas von der
bevorstehenden Ermordung ahnte. Man hatte ihnen genau erklärt, wo sie
arbeiten würden, wie man sie in Gruppen einteile, wo und wann ihnen Spaten
und anderes Arbeitsgerät ausgehändigt werden solle. Ja, man hatte ihnen
sogar angedeutet, daß jedem von ihnen nach Beendigung der Arbeit gestattet
werde, ein paar Kartoffeln für die im Ghetto zurückgebliebenen Eltern
mitzunehmen.
Und auch jene, die im Ghetto ausharrten, erfuhren in den ihnen noch
verbliebenen Lebenstagen nichts von dem Schicksal, das die jungen Leute
ereilt hatte.
«Wo ist Ihr Sohn?» wurde dieser oder jener Vater gefragt.
«Er ist Kartoffeln ernten gegangen», war die selbstverständliche Antwort.
Die Erschießung der Jugendlichen war das erste Glied in der Kette
vorbedachter Maßnahmen zur Ermordung der Berditschewer Juden. Zuerst
wurden aus dem Ghetto fast alle jungen Leute, die Widerstand hätten
leisten können, entfernt. In Jatki blieben vor allem Greise und
Greisinnen, Frauen, Schüler und Schülerinnen sowie Kleinkinder zurück. So
sicherten sich die Deutschen völlig freie Hand für die generelle
Massenhinrichtung.
Die Vorbereitungen für die « Aktion » wurden abgeschlossen. Die Gruben am
Ende der Brodskaja-Straße waren ausgehoben.
aus:
Wassili Grossmann, Ilja Ehrenburg
(Herausgeber)
Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden
(in deutscher Sprache herausgegeben von Arno Lustiger), 1994
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